Digitale Liebe: Knutschen mit der Kussmaschine

Endlich ist die Menschheit einen Schritt näher an der Entfleischlichung. Der „Kissenger“ macht den Austausch von Zärtlichkeiten übers Netz möglich.

Ein Freund zum festhalten: Der Kissenger. Bild: screenshot: youtube

BERLIN taz | In Zeiten von Fernbeziehungen und Facebookchats kommen reale Zärtlichkeiten oft zu kurz. Dem wirken Bastler endlich entgegen: Spürbare Liebe, ohne seinen Computer verlassen oder sich gar mit dem Objekt der Begierde ein unbequemes Sofa teilen zu müssen, ist im wahrsten Sinne des Wortes zum Greifen nah. Der „Kissenger“, eine Erfindung aus Singapur, steht knapp vor der Marktreife.

Das Ding besteht aus einem rosa Kugelkopf und riesigen Silikonlippen. Es soll das Knutschen im Netz ermöglichen, und das geht so: Sensoren, die an den Silikonlippen befestigt sind, leiten den Druck, der beim Pressen auf sie ausgeübt wird, an einen Empfänger-Kissenger am anderen Ende des Internets weiter und simulieren einen Kuss.

Die rosa Kussmaschine ist nicht nur ideal für all diejenigen, deren Liebsten Hunderte Kilometer entfernt weilen, sondern auch eine Alternative für den gesamten Rest: Denn die sexuelle Revolution ist lange her, die Idee der freien Leibeslust ein alter Hut. Tatsächlich geht es nicht mehr um ekstatische Leidenschaft mit all ihren fleischlichen Unperfektheiten. Schon seit den 80er Jahren soll eine allgemeine Tendenz der Entsexualisierung – der „Entfleischlichung“ – zu beobachten sein: die sogenannte Neosexuelle Revolution.

Sie bietet neue Freiräume. Ein Beispiel ist die Objektophilie, die Liebe zu Objekten (Eiffelturm, Kaffemaschine, Mandoline). Für den Sexualforscher Professor Volkmar Sigusch ist sie die Vorhut einer neuen Lebens- und Liebesform. „Es gibt eine Tendenz, Lebendiges als Ding zu behandeln und Gegenständen menschliche Eigenschaften zuzuschreiben.“ Immer mehr Menschen würden schließlich das Auto dem Partner vorziehen.

Ja, und so kann der Kissenger auch nur ein Übergang zu einer völlig neuen Art des Liebemachens sein: Irgendwann wird der Partner gar nicht mehr benötigt werden, denn ohne realen Kuss-Sender geht’s schließlich auch: Silikonlippen knutschen per Zufallsgenerator – an ganz unterschiedlichen Körperstellen. Alles hat seine Zeit oder, um es mit Professor Siguschs Worten zu sagen: „Das Sexuelle ist nicht mehr die große Metapher des Rausches und des Glücks, sondern banal.“

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.