Eher Zimmerman als Martin

USA Sollen Weiße aus lauter Solidarität behaupten, sie seien Trayvon Martin, der getötete schwarze Jugendliche aus Florida? Eine Rassismusdebatte in den USA nimmt Formen an

Der Tod von Trayvon Martin hat etwas bewegt, gerade weil so viele ihn als so gewöhnlich empfinden

VON BERND PICKERT

„Ich bin Trayvon Martin“ steht auf unzähligen T-Shirts. „#ImTrayvonMartin“ ist ein beliebtes Hashtag auf Twitter, seit am vergangenen Wochenende der Wachmann George Zimmerman von einem US-Gericht in Florida freigesprochen worden war. Am 26. Februar 2012 hatte Zimmerman in der Stadt Sanford den 17-jährigen Schwarzen Trayvon Martin auf der Straße verfolgt und im Zuge eines Handgemenges erschossen, als der Jugendliche von einem Einkauf unterwegs nach Hause war. Er sei ihm „verdächtig“ vorkommen, rechtfertigte Zimmerman die Verfolgung Martins. Die sechsköpfige Jury sprach ihn vom Vorwurf des Mordes und des Totschlags frei.

„Ich bin Trayvon Martin“-Shirts tragen auch viele Weiße, die ihre Solidarität ausdrücken wollen – aber innerhalb der Bewegung gibt es daran immer mehr Kritik. Emma Hallings, eine junge Studentin und Aktivistin aus Kansas, hat ein Internetvideo erstellt, in dem sie ihre weißen MitstreiterInnen vehement auffordert, damit aufzuhören. Nicht mit der Solidarität, aber damit, zu behaupten, sie seien auch nur irgendwie genauso wie Trayvon Martin.

Sie selbst jedenfalls, sagt Hallings provokativ, sei eher wie George Zimmerman. Wie er habe sie von der Gesellschaft gelernt, dass schwarze Männer für sie eine lebensbedrohliche Gefahr darstellten, und wenn sie nicht das Glück gehabt hätte, durch Bildung, Reflexion und tolle Eltern die Stereotype zu hinterfragen, fände sie es womöglich genauso in Ordnung, dass ein junger Schwarzer grundsätzlich verdächtig ist, ganz so wie George Zimmerman und die US-Justiz.

Spannend ist an Hallings’ Kritik, dass sie keinen Critical-Whiteness-Ansatz verfolgt. Sie geht, als Weiße, nicht davon aus, dass Weiße zu dem Thema sowieso nichts Vernünftiges sagen oder denken könnten, sie fordert nur, die Realitäten anzuerkennen: Als weiße Mittelklasse-Aktivistin macht sie nicht die Erfahrungen, die ein schwarzer Jugendlicher macht – warum also sollte sie das behaupten und damit die Verhältnisse verschleiern?

In die gleiche Kerbe schlägt ein tumblr-Blog, der seit einigen Tagen am Start ist (wearenottrayvonmartin.com/). Hunderte von US-Amerikanern haben dort inzwischen unter dem Motto „Ich bin nicht Trayvon Martin“ Erfahrungsberichte und Stellungnahmen eingestellt.

„Ich bin nicht Trayvon Martin,“ schreibt eine, „ich bin weiß, weiblich, in meinen 50ern. Ich habe den Rassismus nie erfahren, der Menschen dunklerer Hautfarbe in den USA begegnet. Als Mutter eines jungen Mannes war ich immer um seine Sicherheit besorgt. Aber ich hatte niemals Angst, dass ihn irgendjemand wegen seines Aussehens oder seiner Kleidung umbringen würde oder weil er in einer Gegend unterwegs ist, wo er nicht wohnt.“

In allen Diskussionsforen gibt es rechte Trolle, auch in den USA. Sie schimpfen über liberale, sich selbst hassende Weiße, zitieren die Kriminalitätsstatistik, nach der überproportional viele schwarze Männer Verbrechen begehen, und rechtfertigen so, dass Zimmerman hinter Trayvon Martin her war. Aber trotz solcher Reflexe: Es ist unübersehbar, dass in den USA eine neue Rassismusdebatte begonnen hat. Schwarze TV-Moderatorinnen berichten vor der Kamera von ihrer eigenen Angst um ihre Söhne im Teenageralter. Racial Profiling, also die Verdächtigung aufgrund von Hautfarbe oder ethnischer Zugehörigkeit, wird endlich ein großes öffentliches Thema. Der Tod von Trayvon Martin hat etwas bewegt, gerade weil so viele ihn als unglaublich gewöhnlich empfinden, so viele von Erfahrungen berichten können, die zu dem gleichen tragischen Ende hätten führen können.

Am Samstag wollen die Unterstützer von Martins Familie, AktivistInnen und Bürgerrechtsorganisationen erneut in über 100 Städten der USA demonstrieren, gegen Rassismus und ungerechte Justiz. Allen voran Al Sharpton, Priester, Veteran der Bürgerrechtsbewegung und Fernsehmacher, der in den letzten Monaten eng der Familie von Trayvon Martin beistand und sie beraten hat.

Bei den Kundgebungen und Versammlungen werden sie zusammenstehen, Schwarze und Weiße. Sie sind alle nicht Trayvon Martin. Aber einige von ihnen könnten es sein. Und das sind nicht die Weißen in den T-Shirts.