Immer auf den größten Haufen

FILM AB! Einige Kinobetreiber wollen nicht mehr zahlen. Deshalb wird heute vor dem Bundesverfassungsgericht über die deutsche Filmförderung verhandelt

Die Notwendigkeit eines staatlichen Eingreifens für ein Kulturgut wie den Film leuchtet ein

VON FRÉDÉRIC JAEGER

Sie ist eine Wucht, über 330 Millionen Euro stark, auf allen Seiten abgesichert und legitimiert, mal wirtschaftlich, mal kulturell. In einem ausgeklügelten System werden Förderbeträge von Gremien und Intendanten und Jurys vergeben, dann wieder werden Gelder automatisch oder als Belohnung für Publikumserfolge verteilt. Es fließen große Summen in die Herstellung der Filme selbst, aber auch in Verleih oder in Werbekampagnen, zuletzt auch in die Digitalisierung der Kinoprojektoren. Das muss man nicht restlos unterstützen, aber die Notwendigkeit eines staatlichen Eingreifens für ein so zentrales Kulturgut wie den Film leuchtet ein.

Ein Teil der Förderung, und um den geht es ab Dienstag vor dem Karlsruher Bundesverfassungsgericht, wird nicht mit Steuergeldern finanziert, sondern mit einer sogenannten parafiskalen Abgabe. Das heißt: Einige Betriebe, darunter Kinos, Videotheken und Fernsehanstalten, müssen auf ihren Umsatz eine Sondersteuer zahlen. Diese Praxis – immerhin knapp 80 Millionen Euro stark – steht unter Beschuss. Dahinter steckt das Filmförderungsgesetz (FFG), das 1968 in Kraft getreten ist und seither immer wieder unter Beteiligung der Filmbranche novelliert wurde. Strittig ist, woran sich die Filmförderungsanstalt tatsächlich orientiert – an wirtschaftlichen oder an kulturellen Kriterien? Und überhaupt: Darf der Bund hier eingreifen, ist es nicht Sache der Länder?

Bei der heutigen mündlichen Verhandlung wird der interessanteste Punkt vermutlich eine Nebensache bleiben: In der Ankündigung des Bundesverfassungsgerichts klingt es wie ein Nachsatz, „ob die Entscheidungstätigkeit der Filmförderungsanstalt ausreichend demokratisch legitimiert ist“. Dies ist genau die Debatte, die gewinnbringend zu führen wäre. Denn bisher beanspruchen die lobbyistisch gut aufgestellten Verbände und Gruppierungen, etwa die Deutsche Filmakademie, die Entscheidungen für sich – von der Branche für die Branche. Anders gesagt: In den Gremien herrscht Proporzterror mit bis zu 36 Mitgliedern.

Geschuldet ist dies dem Willen des Staates, mit der Repräsentation einer vermeintlich demokratischen Pluralität sich seiner Verantwortung nach unten hin zu entledigen. Und wer will schon, dass Politiker diese Entscheidungen selbst treffen? Obwohl: Auch der Bundestag hat Abgesandte in den Gremien.

Offensichtlich ist Film keine Dienstleistungsbranche wie eine andere, sondern eine verhältnismäßig teure Kunst. Die klagende Kinokette UCI will in ihrer Berufsfreiheit nicht behindert werden, im Zweifel nur ausländische Filme zu zeigen und somit von der Verteilung der Gelder an deutsche Produktionen wenig zu haben. Während das Bundesverfassungsgericht dies prüft, könnte und sollte es viel grundsätzlicher darum gehen, ob die Filmförderung nicht eher die Kunstfreiheit einschränkt.

In Wirklichkeit sind das Wesen des Staates und das der Kunst miteinander unvereinbar, auf der einen Seite das Organisierte, auf der anderen das komplett eigenen Gesetzen Folgende, sprich das nicht Organisierbare.

Natürlich bedarf es des Staates als Instanz, denn die Kunstfreiheit kann nicht nur durch Zensur angegriffen werden, sondern auch durch Marktmächte. Will der Staat hier aber ein größtmögliches Gleichgewicht herstellen, dann sollte er aufpassen, auf wen er hört. Die Filmwirtschaft wird ihm im Zweifel immer zuflüstern: „Wir wissen am besten, was gut für uns ist … Sie ist alternativlos, die Förderung.“

Doch an der Art und Weise der Förderung gibt es berechtigte Zweifel. Die heutige Praxis der FFA, die nicht selten auf die größten Haufen noch etwas drauflegt, vereint widersprüchliche Ansätze in sich, gibt künstlerischen Erfolgen Bonuspunkte und unterstützt auch kleine Kinos. Doch dieses kulturelle Deckmäntelchen zieht sie sich vor allem deshalb an, weil sie sonst für ihr Tun keine Erlaubnis von europäischer Seite bekäme – reine Wirtschaftsförderung wäre wettbewerbsverzerrend.

Tatsächlich propagiert die FFA die Idee, der Gegensatz zwischen Kunst und Kommerz müsse überwunden werden. Um zu erkennen, dass das nicht aufgeht, braucht es keine seherischen Fähigkeiten.