Igitt, Männerärsche!

ÖHEM SPD-Politiker Johannes Kahrs folgte bei Twitter ein paar Porno-Accounts. Der Berliner „Tagesspiegel“ bläst das zum Skandal auf. Geht’s noch verklemmter?

VON PAUL WRUSCH

Wie investigativ: Der Tagesspiegel hat sich das Twitterprofil des SPD-Bundestagsabgeordneten Johannes Kahrs mal ganz gründlich angeschaut. Wem folgt der schwule Politiker denn so? Redakteur Matthias Meisner findet inmitten der über 1.300 Accounts auch einige Dutzend Pornoprofile. Von denen werden „Fotos von nackten Männern, von hinten und von vorn, beim Sex, teils in Gruppenaufstellung“ verbreitet. „Anzüglich“ seien die Bilder und manchmal sehe man „erigierte Penisse“. Lauter so Schmuddelkram. Pfui!

Sofort beschwört der Tagesspiegel einen Pornoskandal herauf und fragt den Politiker, was das soll. Der gibt sich zunächst unwissend („Kann sein“), dann abwehrend („Ich finde das nicht wirklich aufregend“), schließlich nachgiebig: Nach dem Tagesspiegel-Bericht löscht er mehrere Accounts aus seiner Liste.

Er habe nicht den Überblick, wem er so folge, sagte Kahrs dann der Hamburger Morgenpost. Meist habe er bei Vorschlägen einfach auf „Ja“ geklickt, ohne zu wissen, worum es da eigentlich gehe. Immerhin findet er die Aufregung um die abonnierten Porno-Tweets „ein bisschen spießig“.

Wie unsouverän und verklemmt. Denn damit folgt Kahrs der Prüderie des Tagesspiegels. Sobald es um Politiker und Sexuelles geht, bricht das gesellschaftliche Spießertum hervor. Als vor zwei Jahren Birgit Rydlewski, Piraten-Abgeordnete im NRW-Landtag, ein paar „anzügliche“ Nachrichten twitterte, wurde sie als „Twitter-Luder“ beschimpft. 2011 twitterte US-Demokrat Anthony Weiner versehentlich Bilder von sich mit halberigiertem Schwanz in Boxershorts. Er musste als Abgeordneter des US-Repräsentantenhauses zurücktreten. Nachdem vergangenes Jahr bekannt wurde, dass ein bayerischer SPD-Landrat in seinem Dienstzimmer Sex mit einem Mann hatte, kroch er zu Kreuze.

Wie verklemmt kann man eigentlich sein? Auch Politiker haben eine eigene Sexualität, sie interessieren sich für Körper, sie haben Sex, sie onanieren bestimmt auch. Sie gucken sich Pornos an, haben sicherlich auch mal schmutzige Fantasien. Vielleicht stehen manche auf Lack und Leder, andere auf Analverkehr. Sie sind eben Menschen. Volksvertreter. Wollen wir nur aalglatte Politiker in den Parlamenten? Klinisch rein, hochmoralisch, asexuell?

Dem Tagesspiegel wäre das nur recht, die Verbindung von Sex und Politik ist für ihn Schmuddelkram. Die Redaktion macht es gar noch schlimmer: Um dem Text nachträglich etwas politische Relevanz zu geben, erklärt Tagesspiegel-Onlinechef Markus Hesselmann nach einem Sturm der Entrüstung bei Facebook, es gehe auch darum, „wie ein gewählter Volksvertreter mit den ihm aufgrund seines Amtes zur Verfügung stehenden Infrastrukturen umgeht“. Hört, hört, da guckt sich ein Abgeordneter womöglich auf dem Dienstrechner Pornobildchen an. Vielleicht verbraucht er auch Steuergeld, indem er sein Smartphone im Bundestag auflädt und dann Twitter nutzt. Verbrennt ihn.

Doch trotz aller Kritik hält der Tagesspiegel an seiner Meinung fest. In einem Kommentar versucht Redakteurin Ruth Ciesinger zu rechtfertigen, weshalb der Account von Kahrs keine Privatsache sei: Pornos seien privat. Bei Kahrs würden sie aber „drastisch und ungeschützt über einen Bundestagsbüro-Account abgebildet“. Womit sie insinuiert, Kahrs habe Pornobildchen verbreitet. Was für ein Quatsch. Ein bisschen Twitter-Wissen hätte da geholfen.

Dass es sich nicht nur um Sex, sondern gar um Homo-Sex dreht, macht die Sache für den Tagesspiegel noch delikater. „Die abgebildeten Personen sind fast alle Jahrzehnte jünger als Kahrs. Ob sie bereits volljährig sind, lässt sich nicht immer mit Sicherheit sagen“, schreibt Meisner. Das ist reine Spekulation. Aber klar, schwuler Mann guckt sich Bilder von nackten jüngeren Männern an – Obacht, Pädoalarm! Das sind Stereotype, die im Jahr 2014 eigentlich überwunden schienen. Doch Meisner ist offenbar in den 50er Jahren hängen geblieben.