Wie fühlt man sich als Gummi?

SUPERJOURNALISMUS Nach jahrelangem Verzicht will die ARD dieses Jahr wieder die Tour de France zeigen – und „Roten Rosen“ den Sendeplatz streitig machen. Schweinerei!

Die Bilder aus Frankreich taugten nicht mehr für das deutsche Jubel-TV

VON ANDREAS RÜTTENAUER

Versäumt? Gestern Nachmittag hat sich Werner bei Poppy dafür entschuldigt, dass er sie in letzter Zeit vernachlässigt hat. Die hat ihm gottlob verziehen, aber um ein Haar ihre Verabredung mit Michael vergessen. Am Ende der 2.139. Folge von „Sturm der Liebe“ war dann irgendwie doch wieder alles gut und der Nachmittag in der ARD so gut wie geschafft, der mit der 1.878. Folge von „Roten Rosen“ begonnen hatte, in der Eliane ihre Liebe zum Schachspiel entdeckt hat. Es war ein ganz normaler haushaltsabgabefinanzierter Nachmittag im öffentlich-rechtlichen Fernsehen. Davon wird es in diesem Jahr nicht ganz so viele geben. Für den Juli wird die ARD eine einst bewährte und beliebte Arztserie zurück ins Programm hieven, die „Tour de France“.

Eine gute Idee? Gewiss, einem Sender mit gesellschaftlichem Auftrag steht es gut zu Gesicht, wenn er sinnfreie Seifenopern durch ein journalistisches Format ersetzt. Aber kann man die Berichterstattung der ARD von sportlichen Großveranstaltungen wirklich als Journalismus bezeichnen? Wer dieser Tage verfolgt, was von den Schanzen, Pisten und Loipen dieser Welt berichtet wird, muss da ins Zweifeln geraten. Kostproben gefällig? Der deutsche Vorspringer Richard „Super-Ritchi“ Freitag hat das Zeug zum Superhelden, Österreich die Superadler, und die Stimmung an den Schanzen ist supergeil. Und nach dem Springen die Frage an den Ski, wie er sich so fühle in der Luft. Distanz? Fehlanzeige. Journalistischer Ehrgeiz? Nicht doch! Und im Sommer soll dann mit diesem Lenor-Journalismus die Tour de France weichgespült werden. Vielen Dank auch!

Die Live-Berichterstattung vom großen Radsportsommer in Frankreich hatten die Öffentlich-Rechtlichen nach den großen Dopinglügen der deutschen Vorzeigeradler 2007 eingestellt. Es war ein moralisches Verdikt und das Eingeständnis der eigenen Unfähigkeit. ARD und ZDF – das Zweite hält seinen Tourbann aufrecht – sahen sich offenbar nicht in der Lage, die Berichterstattung von der Tour-de-France zu einem journalistischen Format umzubauen. Das kritiklose Absenden von teuer eingekauften Bildern, an das man die Fernsehzuschauer bei der Berichterstattung über Fußball, Leichtathletik oder Wintersport gewöhnt hat, hielt man angesichts der irrwitzigen Betrügereien in der sinistren Radsportszene nicht mehr für vermittelbar. Zaghafte Versuche, die Tour mit der gebotenen kritischen Distanz zu betrachten, wurden schnell wieder aufgegeben. Der Radsport war den Sendern zu ekelig geworden. Schnell weg damit!

Die Bilder aus Frankreich taugten nicht mehr für das deutsche Jubel-TV. Die dopenden Ex-Helden aus Schland, der blutaufgefrischte Jan Ullrich und der getunte Heuler Erik Zabel hatten das Peloton verlassen, und für die braven deutschen Hinterher-Radler interessierte sich eh niemand. Die Siegfahrer kamen aus Spanien, Großbritannien und Italien. Wer hat sich deren Namen schon gemerkt? Vor diesem Hintergrund war es ein Leichtes für die ARD, sich als Anstalt der moralischen Empörung zu inszenieren und die Tour unter Protest zu verlassen.

Jetzt gibt die ARD den Radlern also eine neue Chance, weil sich der Radsport irgendwie gebessert haben soll. Dopingschurke Lance Armstrong ist jetzt schon länger nicht mehr dabei. Und wer interessiert sich schon wirklich für das Doping in diesem kasachischen Team mit den hellblauen Trikots, für den der Toursieger des vergangenen Jahres unterwegs ist? Außerdem gibt es jetzt ja endlich wieder ganz tolle deutsche Fahrer, eine ganz neue Generation von Radlern, die sowieso nie und nimmer dopen würden. Echt jetzt. Sieben Etappensiege haben deutsche Rennfahrer im vergangenen Jahr errungen. Die ARD fühlt sich da einfach verpflichtet und verspürt den dringenden Wunsch, dem deutschen Publikum Supersprinter Marcel Kittel und Superzeitfahrer Tony Martin zu präsentieren, wie sie auf ihren Superrennmaschinen durch das Superland Frankreich rasen. Und am Ende die Frage an den Reifen: Wie fühlt man sich als Gummi, wenn man als Erster über die Ziellinie rollt?

Nein, bei all dem, was da aus Frankreich zu befürchten ist, muss man sich beinahe fragen, ob die ARD ihren Bildungsauftrag nicht besser erfüllt, wenn sie zeigt, wie Eliane das Schachspielen lernt. Ist ja auch irgendwie Sport.