Verheugen sieht Ökodiktatur

Der deutsche EU-Industriekommissar Günter Verheugen verlangt eine Verschiebung strengerer CO2-Grenzwerte bei Autos. Dienstwagen sind große Dreckschleudern

BERLIN taz ■ Der deutsche EU-Industriekommissar Günter Verheugen warnt vor einer Öko-Diktatur. In der Bild am Sonntag erklärte der SPD-Politiker: „Wir nähern uns einem Zustand, den ich als Lifestyle-Regulierung bezeichnen würde.“ Und: „Es gibt ja schon heute Leute, die von einer Öko-Diktatur sprechen.“ Er wolle keine Gesellschaft, in der den Menschen vorgeschrieben werde, „wie sie in ihren eigenen vier Wänden zu leben haben“, sagte er.

Anlass für das Interview war der geplante Kohlendioxid-Grenzwert für Neuwagen von 120 Gramm Kohlendioxid je gefahrenen Kilometer, den die EU bis 2012 umsetzen will – um den wachsenden Klimabelastungen aus dem Straßenverkehr beizukommen. Was besonders deutschen Autobauern wie BMW, Mercedes oder Audi nicht schmeckt: Deren hochmotorisierte Limousinen stoßen oft das Doppelte aus. Diese Klimaauflagen, so Verheugen, ließen sich nicht vor 2015 verwirklichen: „Die Kommission sollte sich darauf einstellen, dass man am Ende zu einem vernünftigen Kompromiss kommen muss.“

Aber was will man auch von Politikern erwarten, die selbst in rollenden Klimadreckschleudern unterwegs sind: Am Donnerstag hatte die Deutsche Umwelthilfe (DUH) eine Liste mit den Dienstwagen der deutschen Spitzenpolitiker veröffentlicht. Tenor: Die meisten Regierungsverantwortlichen auf Bundes- oder Landesebene scheren sich einen feuchten Kehricht um den Kohlendioxid-Ausstoß ihres Dienstwagens. Der Mercedes von Ulla Schmidt (SPD) ist für 247 Gramm Kohlendioxid je Kilometer verantwortlich, der von Bundesumweltminister Sigmar Gabriel (SPD) für 222, der Audi von Verkehrsminister Wolfgang Tiefensee schlägt mit 249 Gramm je Kilometer zu Buche.

Die Liste hatte für einige Furore gesorgt. So erklärte Regierungssprecher Thomas Steg, die Minister müssten im Dienst auch repräsentieren und könnten nicht in der „Rikscha, Sänfte oder anderen Transportmitteln“ vorfahren. Was die DUH zurückwies: „Schon heute sind Limousinen, wie sie von Bundesministern gefahren werden, mit einer klimaverträglicheren Motorisierung auf dem Markt.“ Als positives Beispiel hatten die Umweltschützer die Berliner Umweltsenatorin Katrin Lompscher (Linke) aufgeführt, die einen Toyota Prius fährt, der nur 104 Gramm Kohlendioxid pro Kilometer ausstößt.

Seitdem die Liste bekannt ist, hat sich „die Auskunftsbereitschaft der Ministerien enorm erhöht“, erklärt Gerd Rosenkranz von der DUH. Zuvor nämlich seien die Anfragen nur schleppend oder gar nicht beantwortet worden. Weshalb die DUH am Wochenende „Fehler“ zugeben musste. Fehler, die ein Nachspiel haben könnten: Ulla Schmidt erwägt eine Klage. NICK REIMER