Ein „Ayraultport“ für die Bretagne

BEWEGUNG II Bei Nantes soll ein Großflughafen entstehen. Der Plan spaltet die Regierungskoalition

Die verbleibenden Anwohner sollen enteignet, ihre Höfe plattgemacht werden

PARIS taz | Aus ganz Frankreich waren Menschen angereist und aus halb Europa, um am Samstag nördlich des westfranzösischen Nantes gegen den geplanten Bau des internationalen Airports Notre-Dame-des-Landes zu protestieren. Rund 40.000 kamen nach Angaben der Initiatoren zusammen, die Präfektur sprach von 13.500. Und nach der Demonstration ging es weiter: Etliche blieben und begannen mit dem Wiederaufbau des Hüttendorfes auf dem 2.000 Hektar großen Gelände, das vor zwei Wochen von der Polizei geräumt worden war. Diese hielt sich am Wochenende zunächst zurück.

Der Flughafen gehört zu den ältesten Infrastrukturvorhaben des Landes, die ersten Pläne stammen aus den 1960er Jahren. Genauso lange wird über ihn gestritten, weil er mitten in geschützten Feuchtzonen mit zahlreichen seltenen Tier- und Pflanzenarten liegt. Doch derzeit wird das Projekt massiv vorangetrieben, unter dem Druck haben rund 80 Prozent der Anwohner ihre Grundstücke bereits an den Staat verkauft, die Verbleibenden sollen enteignet werden, ihre Höfe und Häuser unter Polizeischutz mit dem Bulldozer demoliert. In einem Jahr sollen die Planierraupen rollen.

Der bestehende Flughafen reiche künftig nicht mehr aus, argumentieren die Behörden. Dazu wachse die Bevölkerung des Departements zu schnell. Bis 2030 soll sie auf fast 1,5 Millionen Menschen anwachsen, das wären fast 300.000 mehr als jetzt.

Die Betroffenen bekommen aktive Unterstützung von Aktivisten mit Erfahrungen aus der Occupy-Bewegung, vom Widerstand gegen die Castor-Transporte oder Stuttgart 21. Mit dieser Mischung ist der Kampf gegen den internationalen Flughafen für breite Kreise zu einem Symbol des Kampfs gegen menschenverachtende Wirtschaftsinteressen und die Staatsmacht geworden. Landwirt Michel Tarin, mit 65 gerade pensioniert, möchte in der Großkundgebung vom Samstag eine „Wende“ erkennen. Er ist einer der Veteranen dieser Widerstandsbewegung. Schon in den 1970er Jahren war er mit von der Partie. Zusammen mit José Bové gründete er später die kämpferische und altermondialistische Bauerngewerkschaft Confédération Paysanne. Mit Bové marschierte die halbe Parteiführung der französischen Grünen gegen das „pharaonische“ Bauvorhaben.

Auch nach Ansicht der heute an der Regierung beteiligten Grünen ist der Flughafenbau nicht nur ökologisch unverantwortlich, sondern auch ökonomisch völlig überdimensioniert. Sie gehen davon aus, dass der Airport statt der offiziell angegebenen 581 Millionen mehr als zwei Milliarden Euro kosten wird, und unterstützen die Proteste.

Diese frontale Opposition belastet die grün-rote Koalition. Denn an der Seite des direkt an dem Vorhaben interessierten Baukonzerns Vinci steht als wichtigster Befürworter von Notre-Dame-des-Landes ausgerechnet der Premierminister Jean-Marc Ayrault. Der sozialistische Regierungschef war bis vor kurzem Bürgermeister von Nantes. Wie seine Parteikollegen und die bürgerliche Opposition sowie die lokalen Behörden verteidigt er verbissen diese Chance, Nantes mit zwei für den Superairbus A380 geeigneten Landepisten zu weltweiter Attraktivität zu verhelfen. Bei den Gegnern heißt der Airport deshalb schon längst „Ayraultport“.

RUDOLF BALMER