Mauer des Schweigens

EUROPA Die EU lässt Lobbyisten gewähren und begünstigt damit Korruption, kritisiert „Transparency International“ in einer neuen Studie. Viele Vorschriften, aber Umsetzung oft nur mangelhaft

BRÜSSEL taz | Die EU erteilt Ländern wie Griechenland gerne Lektionen in Sachen Korruption. Dabei ist Brüssel selbst nicht über jeden Betrugsverdacht erhaben. Dies zeigt eine neue Studie von „Transparency International“ (TI). Es gebe zwar zahlreiche Vorschriften, um Korruption zu verhindern. Allerdings würden sie oft nicht umgesetzt. Das Hauptproblem sei der „ausufernde Lobbyismus“, so die Vorsitzende der deutschen TI-Sektion, Edda Müller.

Lobbyisten sorgen in Brüssel regelmäßig für Wirbel. Mal sichert Energiekommissar Günther Oettinger dem VW-Konzern zu, strengere Umweltvorschriften zu verhindern. Mal übernehmen Europaabgeordnete reihenweise und ungeprüft Änderungsvorschläge von Wirtschaftslobbyisten und schreiben daraus umstrittene EU-Gesetze. 2012 trat EU-Gesundheitskommissar John Dalli zurück, weil er angeblich in einen Bestechungsversuch der Tabaklobby verwickelt war. Der Fall ist bis heute nicht aufgeklärt.

Brüssel habe aus den Vorfällen nicht alle Konsequenzen gezogen, kritisiert TI. So seien Mitarbeiter von Kommission, Rat und Parlament bis heute nicht verpflichtet, Kontakte zu Lobbyisten während des Gesetzgebungsprozesses offenzulegen. Auch eine Meldepflicht fehle.

Zwar gebe es seit einigen Jahren ein EU-Register, das 6.000 Lobbyisten auflistet, vermutlich sei die wahre Zahl in Brüssel und Straßburg aber mehr als doppelt so hoch, so Müller.

Nicht nur durch Lobbyismus, sondern auch aus anderen Gründen sei die EU für Korruption anfällig, heißt es in dem Bericht, der gleichzeitig in Berlin und Brüssel veröffentlicht wurde. Mangelnde Transparenz und unzureichende Umsetzung von Schutzregeln hätten zu einem negativen Image der EU beigetragen, so der Chef des Brüsseler TI-Büros, Carl Dolan. Nach einer kürzlich veröffentlichten Umfrage glauben 70 Prozent der Befragten, dass die EU mit Korruption zu kämpfen habe. Schließlich ist nicht einmal die Brüsseler Antikorruptionsbehörde Olaf über jeden Verdacht erhaben. Im Fall Dalli werden ihr schlampige Ermittlungen und mangelnde Transparenz vorgeworfen.

Das Europaparlament, das den Fall und die Rolle von Kommissionschef José Manuel Barroso aufklären wollte, stieß auf eine Mauer des Schweigens. Zu den Forderungen von TI zählen unter anderem die Gründung einer europäischen Staatsanwaltschaft für grenzüberschreitende Verbrechen, die Einführung eines verpflichtenden EU-Lobbyregisters sowie eine unabhängige Überwachung der europäischen Parteienfinanzierung. Für die Studie hatte TI nach eigenen Angaben neun Monate lang mit Vertretern der untersuchten Institutionen gesprochen und Publikationen ausgewertet. ERIC BONSE