Türkiyemspor-Betreuer Aumeier: "Ich finde National-Teams überholt"

Fußball-Spiele zwischen Staaten seien nicht mehr zeitgemäß, meint Harald Aumeier - und lobt die Integrationskraft seines interkulturellen Vereins.

"Sport braucht keine Bildung, wir sprechen die breite Masse an": Harald Aumeier Bild: EuroTürkTV

taz: Warum ist ein Deutscher Türkeibeauftragter von Türkiyemspor?

Harald Aumeier: Wir machen uns einen Spaß draus: wir schicken die Türken nach Berlin und die Deutschen in die Türkei. Bei Türkiyemspor spielen wir mit Symbolen, in unserem Vereinsemblem kombinieren wir den Berliner Bären und die türkische Fahne. Damit brechen wir zwei Nationalitäten auf und versuchen etwas Neues zu schaffen. Wir sind ein Verein, der sich nicht in nationale Grenzen einbauen lässt. In Deutschland werden wir oft als türkischer Verein wahrgenommen. Das sind wir nicht. Wir sind im DFB Mitglied, also ein deutscher Verein. In der Türkei wiederum werden wir nur als deutscher Verein wahrgenommen. Wir versuchen die Grenzen zu überschreiten und zu zeigen, dass es vollkommen einfach ist, miteinander zu arbeiten und zu leben – wenn man akzeptiert, dass man unterschiedlicher Herkunft ist und manchmal andere Blickwinkel hat.

Sie verstehen sich als multikultureller, integrativer Verein. Wie setzen Sie das um?

"Multikulturell" wird momentan politisch negativ besetzt, wir sagen interkulturell. Wir wollen den Austausch zwischen den Kulturen fördern, das geht mit dem Vehikel Sport wunderbar, weil da die Hemmschwelle nicht so groß ist. Bei Demos und Podiumsdiskussionen kommen nur die Interessierten. Sport braucht keine Bildung, wir sprechen die breite Masse an. Mit unseren kleinen Kampagnen – wie die "Respect Gaymes" gegen Homophobie, sozialen Projekten und Kooperationen – erreichen wir mehr Leute.

Harald "Hacky" Aumeier, 39, ist Diplom-Pädagoge, Deutschlehrer und ehrenamtlicher Türkeibeauftragter des interkulturellen Vereins Türkiyemspor aus Kreuzberg, der seit Neuestem wieder in der Regionalliga spielt. Zu seinen Aufgaben zählen u.a. Sponsoring, Pressearbeit und die Betreuung von in die Türkei zurückgekehrten Türkiyemspor-Fans. Er ist in den 80er Jahren selbst als Fan zu Türkiyemspor gekommen und wegen der friedlichen, guten Atmosphäre geblieben. Auf EuroTürk TV moderiert er zudem wöchentlich eine interkulturelle Talkshow. Er lebt in Berlin und Istanbul. Türkiyemspor gibt es seit 1978. Die sportlich erfolgreichste Zeit des Kreuzberger Vereins waren die 80er Jahre in der Oberliga. Türkiyemspor ist einer der bekanntesten Migrantenvereine Deutschlands und gilt aufgrund seines Erfolgs als Aushängeschild des Bezirks und der türkischen Gemeinschaft in Berlin. 2008 wurde der Verein mit dem Integrationspreis des DFB ausgezeichnet. Grund: sein Engagement im Mädchenfußball, gegen Rassismus und die Diskriminierung Homosexueller, und soziale Projekte wie Kooperationen mit Schulen und Moscheen.

Wie reagiert man in der Türkei auf Sie als Deutschen?

Es gibt positive Ressentiments: die Deutschen sind pünktlich, diszipliniert, ordentlich. Ich bin nichts davon. Da ich fließend Türkisch spreche, kommt – z.B. in einem Sponsorgespräch – erst nach ein, zwei Stunden raus, dass ich Deutscher bin. Da ist dann schon eine vertrauensvolle Gesprächsgrundlage da. Da die Türkei immer noch außerhalb der EU steht und um Anerkennung kämpft, ist es für die Leute positiv, wenn sich ein Nicht-Türke für ihr Land interessiert.

Und in Deutschland? Sie haben immer noch keinen deutschen Hauptsponsor, obwohl Türkiyemspor z.B. den DFB Integrationspreis gewonnen hat.

Das ist tragisch. Seit 30 Jahren gibt es Türkiyemspor. Wir spielen sehr erfolgreich Fußball, genießen eine große mediale Aufmerksamkeit in beiden Ländern, sind sozial sehr aktiv. Das wäre für jeden Sponsor ein gefundenes Fressen. Wir haben aber bis heute keinen deutschen Hauptsponsor gefunden!

Die türkische Nationalmannschaft spricht teilweise besser Deutsch als Jogi Löws Jungs. Die deutsch-türkischen Nachwuchsfußballer wollen offenbar lieber für die Türkei als für Deutschland spielen. Warum?

Weil die deutsch-türkischen Nachwuchsspieler keine Chance haben, die fallen unten weg bzw. verschwinden nach oben langsam. Die deutsche Nationalmannschaft hat sich erst in den letzten vier Jahren für Migranten geöffnet. Es gibt unterschwellige Schranken, keine formalen. Diese Spieler werden von den Vereinen nicht so sehr wahrgenommen. Das kann mit Ressentiments zu tun haben. Oder damit, dass ein deutscher Verein keine Spieler ausbilden will, die dann später für die türkische Nationalmannschaft spielen. Dann lässt er es lieber.

Ist Bi-Kulturalität ein Problem im Fußball, der immer noch national ausgerichtet ist?

Ich persönlich finde Nationalmannschaften überholt. Wir leben in einer Welt, in der das Geld von einem Land ins andere fließt, die Firmen sind transnational, Menschen wandern. Spiele wie "Schweden gegen Frankreich" sind für mich ein Relikt aus den 50er Jahren. Man könnte überlegen, ob man eine Auswahlmannschaft der Bundesliga gegen eine der französischen 1. Liga spielen lässt. Also: alle Spieler, die in diesem Land gerade spielen, ungeachtet der Nationalität. Aber da hätten die Nationalverbände erst einmal kein Interesse daran. Es geht ja auch um Macht und Kommerz, es gibt viel Geld in dem Bereich. Warum sollten die Nationalverbände von ihren Pfründen was abgeben?

Was müsste sich ändern, damit Nachwuchsfußballer anderer Herkunft in der deutschen Nationalmannschaft spielen?

Spielerbetreuer und -beobachter des DFB müssten sich auch Spieler anschauen, die keinen deutschen Namen, oft aber einen deutschen Pass haben. Denen fehlt die Ausbildung und das Wissen, dass es dort sehr großes Potential gibt, das nutzbar ist. Ein deutscher Nationalspieler mit türkischem Namen hätte Auswirkungen auf die Migranten in Deutschland: es sind positive Integrationspersönlichkeiten, das was Maria Böhmer seit Jahren fordert. Etwa Ümit Karan (früher Türkiyemspor, jetzt bei Galatasaray Istanbul, zeitweise auch in der türkischen Nationalmannschaft), wenn der nach Berlin-Kreuzberg kommt, dann ist das Stadion voll. Dann kommen mindestens 500 Jugendliche nur, um ihn zu sehen. Die nehmen sich einen Spieler als Vorbild: der ist aus unserem Bezirk, der hat es geschafft, mit Fußball Geld zu verdienen, er ist eine berühmte Persönlichkeit. Wie schön wäre es, wenn der in der deutschen Nationalmannschaft spielen könnte!

Welchen Stellenwert hat Fußball in der türkischen Gesellschaft?

Man sagt ja immer, die Deutschen seien fußballverrückt. Im Vergleich zu den Türken ist das aber nichts: Fußball in der Türkei ist die Sportart schlechthin. Das ganze Land steht still, wenn die türkische Nationalmannschaft spielt. Und wenn sie wie am Mittwoch dann auch noch gewinnt, dann ist das ein riesengroßes Fest überall. Obwohl man immer sagt, Osten und Westen der Türkei verstehen sich nicht so gut. Auch da verbindet der Fußball.

Was hat Türkiyemspor erreicht?

In den 80er Jahren waren Migranten noch nicht so integriert wie heute und hatten noch mehr Probleme. Damals, zur sportlichen Hochphase von Türkiyemspor, konnten wir ihnen etwas Positives geben: auf dem Spielfeld galten dieselben Regeln für alle, unter gleichen Bedingungen haben sie aber gewonnen. "Wir können auch mal besser sein!". Jetzt haben wir 14 Jahre in der Oberliga rumgegurkt, da hat sich das natürlich gelegt. Heute bieten wir auch Mädchenfußball an, damit haben wir in der türkischen Community nicht nur offene Türen eingerannt. Nächstes Jahr werden wir auch ein Frauenteam eröffnen. Damit werden wir der einzige Migrantenverein in Deutschland sein mit einem kompletten Mädchen- und Frauenbereich. Das ist ein großer Erfolg. Wissen Sie, ich habe mich früher für antifaschistische Gruppen engagiert, aber ich hatte nie das Gefühl, dass man gesellschaftlich etwas bewegt. Türkiyemspor bewegt mehr als jedes andere Projekt in der Bundesrepublik. Das elektrisiert. Ein Beispiel: bei einem Pokalendspiel der B-Jugend gegen Dresden haben blonde, blauäugige Berliner Jungs für Türkiyemspor gejubelt. Die Kinder sehen uns nicht als Ausländer, sondern als ihren Verein, aus Berlin. Was Verbindenderes gibt’s ja gar nicht. Das wärmt einem das Herz, wenn man dran denkt.

INTERVIEW: MIRIAM JANKE

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