Atomkraftpanel auf dem taz-Kongress: "Eine ökonomische Schlüsselfrage"

Durch die Bundestagswahl könnten Atomkraftwerke ein zweites Leben bekommen. Der taz-Kongress diskutiert, wie dem etwas entgegensetzt werden kann.

Jochen Stay: "Die Atomindustrie hat mehr Geld, aber wir haben die besseren Argumente." Bild: tobias zollenkopf

„Die Atomindustrie hat mehr Geld, aber wir haben die besseren Argumente“ (Jochen Stay)

„Die Anti-Atom-Debatte trägt nicht mehr wie in den 70er- oder 80er-Jahren. Wir müssen aufpassen, dass bei der Bundestagswahl die Wirtschaftskrise nicht alles überdeckt.“ (Matthias Machnig)

„Bei der Wahl geht es nicht darum, Atom und CO2-freie Energieträger zusammen existieren zu lassen, sondern es wird ein Entweder-oder sein.“ (Rainer Baake)

„Es wird in der SPD keine Mehrheiten gegen den Atomausstieg geben“ (Machnig)

„Viele Unternehmer aus dem alternativen Bereich haben sich nach dem 2002 von Rot-grün beschlossenen Erneuerbaren-Energie-Gesetz entpolitisiert.“ (Baake)

„Es laufen Gespräche für eine breite Organisation der Proteste.“ (Stay)

Wer diskutiert?

Auf dem Podium im großen Auditorium der schwangeren Auster in Berlin ist der Macher des historischen Atomkompromisses unter Rot-grün, der damalige Umweltstaatssekretär und heutige Geschäftsführer der Deutschen Umwelthilfe, Rainer Baake. Dazu sein Nachfolger im Ministerium, Matthias Machnig. Machnig ist nicht nur ein ausgebuffter Ex-SPD-Wahlkampfchef, er wird auch als Nachfolger von Minister Gabriel gehandelt, wenn der in der kommenden Legislaturperiode auf den Fraktionsvorsitz wechseln sollte.

Jochen Stay ist ebenfalls eine der Ikonen der Atomfrage, als Koordinator von zahllosen Castorblockaden und strahlengegerbter Wendländer haben er und die Organisationen, für die er spricht, der Atomindustrie schon mehr Geld und Nerven gekostet als jeder Störfall.

Gerd Rosenkranz ist ein Ex-taz- und -Spiegel-Journalist, jetzt Politikchef bei der Deutschen Umwelthilfe. Er war jahrzehntelang der kundigste und einer der bekanntesten Journalisten, die sich mit Atomkraft in Deutschland beschäftigten.

Der Moderator Malte Kreutzfeldt ist der Ressortleiter Wirtschaft und Umwelt der taz.

Vor welchem Hintergrund?

Die Laufzeitverlängerung der deutschen Atomkraftwerke auf 60 Jahre (passiert gerade bei den US-AKW) würde den vier großen deutschen Stromkonzernen mehrere hundert Milliarden Euro Reingewinn bringen. Die derzeitige Gesetzeslage mit dem Atomausstiegsgesetz nimmt in den kommenden Jahren viele deutsche AKW vom Netz (siehe auch den Reststrommengenzähler des Bundesministeriums). Stade und Obrigheim sind schon weg, Biblis A und Neckarwestheim folgen innerhalb der kommenden 12 Monate. Die Zeit drängt also für die Atomlobby.

Für den lockenden Gewinn kann man lange und intensiv Parteien und Öffentlichkeit kneten. Im September ist Bundestagswahl. Wenn dann Union und FDP die Mehrheit haben, gilt das Atomausstiegsgesetz als tot. Aber auch über die SPD wird gemunkelt, sie bastle an „Möglichkeiten“, wie mit den AKW weiter verfahren wird, falls die Sozialdemokraten wieder in einer großen Koalition landen.

Wie lief die Diskussion?

Gerd Rosenkranz verwies in seiner Einführung auf die wachsende Zahl von Staaten, die einen AKW-Bau planen. Technisch sei aber klar: Erneuerbare Energie in größerem Rahmen und die auf Grundlast beschränkten Atomkraftwerke im gleichen Stromnetz schließen sich aus: Weil auch die Erneuerbaren vor allem Grundlastkraftwerke sind. Daher sei Klimaschutz und Atomkraft ein Gegensatz.

Matthias Machnig dazu: „Richtig. Wir müssen uns entscheiden:

Auf welchen Feldern wollen wir künftig wachsen? Das sind doch im Energiebereich die Erneuerbaren. Bei einem Rückfall in die Kernenergie kommt ein Innovations- und Investitions-Abwarten. Der Atomausstieg ist nicht nur ökologisch, sondern auch ökonomisch eine Schlüsselfrage.

Alles schön und gut, so Malte Kreutzfeldt, aber schließlich sei in der laufenden Legislaturperiode kein AKW vom Netz gegangen. Machnig und Baake waren sich einig, dass das Atomausstiegsgesetz von Rot-grün trotzdem eine gute Sache sei. Durch den Konsens mit den Energiekonzernen sei es diesen unmöglich gewesen, gegen die kommenden Stillegungen zu klagen. Deshalb komme es darauf an, dass nach der Bundestagswahl am 27. September keine Mehrheit an die Macht komme, die das Ausstiegsgesetz ändere. Und in der kommenden Legislaturperiode stünden dann sieben AKW vor dem Aus.

Jochen Stay war da skeptischer: „Es ist ganz viel möglich im Gesetz, wie Stromkonzerne ihre Laufzeiten gestalten können. Wird ein neueres AKW aus Sicherheitsgründen stillgelegt, können die Strommengen auf die anderen übertragen werden. Die würden dann länger laufen als die kommende Legislaturperiode. Das Problem, so Stay: In einem Fünfparteiensystem gebe es viele Konstellationen und keiner wisse, was dann bei Koalitionsverhandlungen gegeneinander aufgewogen werde.

„Dieses Argument ist ja politisch gefährlich“, meinte Baake. „Weil es letztlich bedeutet, es kommt nicht drauf an, welche Mehrheiten bei der Wahl herauskommen.“

Machnig: „Noch gibt es eine gesellschaftliche Mehrheit gegen Atomkraft. Aber für die Wahl brauchen wir Zuspitzungen“ – also übersetzt Aufreger wie das marode Endlager Asse. „Und bei allem Respekt“, so der Staatssekretär: „Da muss die Anti-AKW-Bewegung aber noch kräftiger werden.“ Die Energieversorger würden in Gesprächen im Ministerium ganz offen sagen, dass sie auf die Bundestagswahl hoffen und dann alles bekommen: ein neues Ausstiegsgesetz und den Wegfall der Laufzeitverlängerungen.

Immerhin: Er sei sich sicher, dass es auf SPD-Parteitagen keine Mehrheiten gegen den Atomausstieg geben werde.

Wie aber die Bewegung verbreitern und schlagkräftiger machen gegen die ach so mächtige Atomlobby? Aus dem Publikum kam die Frage „Warum schaffen es die Unternehmer aus der immer weiter erstarkenden Branche der Erneuerbaren Energien plus die Anti-Akw-Bewegung nicht, eine gesellschaftliche Mehrheit zu organisieren?" Baake meinte, durch das 2000 beschlossene Gesetz zur Förderung Erneuerbarer Energien hätten sich viele Unternehmer auf die neu entstandenen Chancen konzentriert. „Da hat fast eine Entpolitisierung stattgefunden.“ Das ändere sich jetzt aber wieder, „weil die EE-Branche sieht, wie sie bei wachsender regenerativer Strommenge immer mehr in Konkurrenz zu Kohle und Atom kommen.“ Machnig dazu: Auch innerhalb der traditionellen Industrieverbände gebe es da Veränderungen.

Jochen Stay kam auf die praktische Seite zu Sprechen: „Es geht gerade los.“ In vielen Gesprächen würden Kampagnen entwickelt, auch zusammen mit Unternehmen aus den Erneuerbaren Sektoren und bestimmten Gewerkschaften. „Vorläufiger Höhepunkt wird der 5. September in Berlin, die große Anti-Atomdemonstration.“

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