„Wir haben von Vietnam gelernt“

Heute noch? Morgen noch? Dieses Jahr noch? Präsident Bush will nicht sagen, bis wann der Krieg dauert. Dennoch: so lange wie Vietnam auf keinen Fall

von ERIC CHAUVISTRE

Je weniger militärische Erfolge die US-Streitkräfte vorweisen können, desto deutlicher kehrt ihr Oberbefehlshaber zu seiner kriegerischen Rhetorik aus der Zeit unmittelbar nach den Anschlägen vom 11. September zurück. „Langsam aber sicher werden wir al-Qaida aus ihren Höhlen ausräuchern“, sagte Präsident George W. Bush in einer vom Fernsehen übertragenen Pressekonferenz zur besten Sendezeit in der Nacht zum Freitag.

Die Betonung muss man wohl auf das „langsam“ legen. Denn nachdem das Pentagon in den Tagen zuvor schon hatte streuen lassen, die US-Streitkräfte hätten die Lufthoheit über Afghanistan erreicht und könnten nun ungefährdet andere Ziele bombardieren, bemüht sich der Präsident jetzt offenbar, die Erwartungen an schnelle sichtbare Erfolge der US-Luftangriffe zu dämpfen.

Genauso ist Bush jedoch darauf bedacht, die Furcht beiseite zu räumen, der Afghanistan-Krieg könne für die USA zu einem zweiten Vietnam-Krieg werden. „Es kann morgen passieren, es kann in einem Monat passieren, es kann auch zwei Jahre oder länger dauern“, antwortete der Präsident auf die Frage eines Reporters, wann denn das Kriegsziel erreicht werden könne.

Mindestens bis Sommer

Zuvor hatte schon der britische Generalstabschef Sir Michael Boyce auf die Möglichkeit eines längeren Kriegs in Afghanistan hingewiesen. „Wir müssen davon ausgehen, dass der Krieg mindestens bis zum nächsten Sommer dauern werde“, sagte Boyce.

Vom Plan, auf militärische Erfolge der Nordallianz gegen die Taliban zu setzen, sind die USA wohl abgerückt. Die Washington Post berichtet mit Bezug auf pakistanische und amerikanische Quellen, es würden keine Luftangriffe mehr gegen Taliban-Stellungen im Norden Kabuls geflogen. Damit wollen die USA offenbar verhindern, dass die Nordallianz die Macht in Kabul übernimmt, ohne dass andere oppositionelle Gruppen einbezogen worden sind. Dazu passt auch das Angebot Bushs an die Taliban bei einer Auslieferung Bin Ladens die Luftangriffe einzustellen. „Ihr habt noch eine zweite Chance“, sagte Bush.

Wie die USA weiter vorgehen werden, bleibt unklar. US-Militärexperten gehen weiterhin davon aus, dass verstärkt verdeckt operierende Spezialeinheiten zum Einsatz kommen. US-Verteidgungsminister Donald Rumsfeld gestand erstmals indirekt ein, dass solche Einheiten bereits in Afghanistan operieren. Rumsfeld bestätigte, dass ihm Aufklärungsberichte „vom Boden“ vorliegen – ohne im Detail zu sagen, ob es sich dabei um Berichte eigener Truppen handelt.

Geheimdienst verwirrt

Ein Problem für die US-Streitkräfte scheint zu sein, dass die Taliban-Truppen nach den Angriffen nicht ihre Stellungen verlassen und zu einfachen Zielen werden. Stattdessen scheinen sie sich in gebunkerte Verstecke zurückzuziehen. Offenbar sind die Geheimdienstinformationen über das Vorgehen sowohl der Taliban als auch der al-Qaida schlechter informiert als die US-Regierung bislang zugeben wollte. Pentagon-Beamte fürchten, dass es sowohl al-Qaida als auch dem Taliban-Regime gelungen ist, den USA Falschinformationen zuzuspielen.

Falls sich Teile der al-Qaida oder der Taliban in dicht besiedelte Gebiete zurückziehen, würde das auch US-Spezialkommandos vor eine unlösbare Aufgabe stellen. „Meine Befürchtung ist, dass sich viele al-Qaida-Kämpfer nach Kabul zurückgezogen haben“, sagt John Pike, Geheimdienstexperte bei Globalsecurity.org in Washington. Wollten die USA dort Bin Laden finden, könnte dies zu einem Häuserkampf führen, warnt Pike. Obwohl die USA große Truppenformationen in der Region zusammengezogen haben, ist eine Großinvasion so gut wie ausgeschlossen. „Wir haben einige wichtige Lehren aus Vietnam gezogen“, sagte Bush. „Die vielleicht wichtigste Lehre ist die, dass man keinen Guerillakrieg mit konventionellen Streitkräften führen kann.“