Im Schlossgarten

LIEBHABERBÜHNE Volker Schlöndorff inszeniert ein biografisches Drama von Tolstoi: so erbaulich wie vor der Erfindung der Regie

VON KATRIN BETTINA MÜLLER

Du musst dein Leben ändern. Der Philosoph Peter Sloterdijk sagt es heute, die Dichter Rainer Maria Rilke und Lew Tolstoi sagten es vor mehr als hundert Jahren. Tolstoi dachte dabei an eine Umverteilung des Besitzes, mit dem die Besitzenden beginnen sollten. Ein Gedanke, dessen Schönheit die Besitzlosen schon immer mehr zu schätzen wussten als die Besitzenden.

„Die Erde ist für alle da!“, stößt Tolstois Alter Ego, der vom schlechten Gewissen geplagte Gutsbesitzer Nikolai Iwanowitsch Sarynzew hervor. Der Schauspieler Hans-Michael Rehberg öffnet dazu einladend die Arme in einer Inszenierung, die Volker Schlöndorff im Park von Neuhardenberg eingerichtet hat. Das Geld, mit dem hier gespielt wird, stammt von einer Kulturstiftung der Sparkasse, die eine Autostunde von Berlin entfernt ein prominent besetztes Kulturprogramm bietet. Das Ambiente aber, die Zuschauer in den Gartenstühlen, die Schauspieler auf dem niedrigen Bühnenpodest und der Blick, dem sich immer wieder der lang gezogene, baumbestandene Park bietet, erinnert doch sehr an eine Liebhaberbühne. Gebildete Dilettanten spielen für ein feudales Publikum.

Nikolai predigt

Tolstois spätes Drama, „Und das Licht scheint in der Finsternis“, 1895/96 geschrieben, wird mit gutem Grund nur selten aufgeführt. Es ist zäh. Nikolai predigt. Er predigt seiner Frau Maria (Angela Winkler), seiner Schwägerin Alexandra (Naomi Krauss), seinen Kindern. Niemand von ihnen ist angetan von seiner Idee, mit seiner Frau ins Gartenhäuschen zu ziehen, vom Gemüseanbau zu leben und Wald, Gutshaus und Felder an die Bauern zu verschenken. Schon gar nicht der Sohn, dem er keine Kopeke für ein Leben geben will, das ähnlich liederlich wie seine eigene Jugend verlaufen könnte.

Was den Stoff dennoch interessant macht, ist die Ambivalenz, mit der Lew Tolstoi auf Probleme blickt, die auch seine eigenen waren. Er teilt die Ansichten seines Protagonisten Nikolai und zeigt doch, wie dessen Selbstgerechtigkeit, sich als einziger Christ unter lauter Heuchlern zu wissen, zum Tyrannen macht. Er verhält sich feige gegenüber seiner Frau, mit der er nur noch über Briefe kommuniziert. Seine Bedürfnisse, das eigene Seelenheil zu retten, sind ihm letztendlich näher als die Empathie mit seiner Familie. Die Bauern hingegen, mit denen mitzufühlen er in seiner Rede ständig beschwört, tauchen als Subjekte in dem Drama gar nicht auf.

Dass Schlöndorff um diesen Konflikt weiß, kann man in Interviews lesen; viel draus gemacht hat er nicht. Die Inszenierung klebt am Text, als hätte man damit schon alle Hände voll zu tun. Der Höhepunkt ist ein Streitgespräch zwischen Nikolai und einem Geistlichen, ein Schlagabtausch zweier autoritärer Männer. Sie stehen sich gegenüber, hinter ihnen die Familie, gruppiert wie in einem Ölbild des 19. Jahrhunderts, und niemand bewegt sich, als stünden sie tatsächlich einem Maler Modell. Als ob man die Inszenierung mit Ausschneidefiguren aus Papier eingerichtet hätte.

Die Schauspieler vermögen für einige bewegende Szenen zu sorgen; Angela Winkler lässt die Angst von Marja vor jedem Gespräch mit ihrem Mann, sehr plastisch werden, und auch ihr Sohn, Tammo Winkler, der den einzigen Fan von Nikolai spielt, hat genau jene anrührende Naivität, die es für einen solchen Enthusiasmus braucht.

Die Inszenierung, die im September auch in Jasnaja Poljana, einem Museum auf dem ehemaligen Landgut von Tolstoi, gezeigt werden wird, ist übrigens die Frucht eines höchst präsidialen Dialogs. 2006 wurde bei den Petersburger Gesprächen in Dresden in Anwesenheit von Angela Merkel und Wladimir Putin die Zusammenarbeit zwischen der Stiftung Schloss Neuhardenberg und dem Tolstoi-Museum verabredet. Schlöndorffs Puppenstubenbild einer verlorenen Utopie ist nach einer Tolstoi-Konferenz der zweite Beitrag im angestrebten deutsch-russischen Dialog.