Alle mal hinschauen!

SEHANLEITUNG Mit der unterhaltsamen Schau „Die Kunst ist super“ gibt Udo Kittelmann seine Visitenkarte beim Berliner Publikum ab

Mit lustvoller Grenzüberschreitung präsentiert der neue Direktor die Bestände

VON KATRIN BETTINA MÜLLER

Nicht weit entfernt vom Hamburger Bahnhof, dem Museum für Gegenwartskunst in Berlin, liegt das Naturkundemuseum in der Invalidenstraße. Es ist ein Publikumsrenner, in dem an manchen Tagen vor lauter Schülergruppen die Vitrinen kaum noch zu sehen sind. Hierhin zog es auch den Neuberliner Udo Kittelmann, seit Ende 2008 Direktor der Nationalgalerie Berlin. Das hatte Folgen. Denn in ihm erwachte Begeisterung für die vergrößerten Modelle von Fliegen, Flöhen, Zikaden und Wanzen, die der wissenschaftliche Plastiker Alfred Keller zwischen den Dreißiger- und Fünfzigerjahren für das Museum hergestellt hatte. An ihnen lässt sich nicht nur der Körperbau der Insekten studieren, sondern auch das Vertrauen in die Macht des Wissens. Die Vergrößerung ist scheinbar nur eine sachliche Sehhilfe; klammheimlich aber bedient sie eine üppig wuchernde Fantasie: Denn so stellen wir (und der Horrorfilm) uns Monster vor.

Die Insekten werden uns überleben, so viel gilt als sicher. Udo Kittelmann hat die Modelle nun für ein Gastspiel im Hamburger Bahnhof mit den Werken eines Berliner Künstlers zusammengebracht, der mit einer ähnlichen wissenschaftlichen Anmutung in der Präsentation spielt. Fast glaubt man in den gut ausgeleuchteten Vitrinen von Gerd Rohling antike Prunkkelche und Schalen aus kostbarem Glas zu sehen, bis einem aufgeht, dass der Schein trügt. Es ist Plastikmüll, ein wenig zurechtgebogen und geschnitten, dem Rohling ein kostbares Aussehen gibt. Die Lust am Luxus spielt dabei genauso eine Rolle wie das Erschrecken über die Verschleuderung von Ressourcen. Mit der musealen Ausleuchtung stellt er den Akt der Verwandlung von Müll in Kunst aus. Und mit einer ähnlichen, fast künstlerischen Geste stellt Udo Kittelmann die naturkundlichen Plastiken daneben. Macht nicht auch aus ihnen der Präsentationsort Kunstwerke?

Mit solch lustvollen Überschreitungen der Grenzen der eigenen Sammlungen hat Udo Kittelmann die Neupräsentation der Bestände im Hamburger Bahnhof, dem Berliner Museum für Gegenwartskunst, gewürzt. Unter dem Titel „Die Kunst ist super!“ kommt sie ebenso unbescheiden wie selbstironisch daher. Zusammen mit Eugen Blume, dem Leiter des Hamburger Bahnhofs, und den beiden Kuratorinnen Gabriele Knappstein und Britta Schmitz, hat er auf 10.000 Quadratmetern – mit dieser Größe gibt man schon gern ein wenig an – einen abwechslungsreichen Parcours angelegt, der verschiedenen Motiven folgt.

Da begegnen einem zum Beispiel die Ikonen des Popzeitalters, die Andy Warhol in seinen Siebdrucken bannte, den Gipsbüsten und Totenmasken eines vorausgegangenen Jahrhunderts, um das Vanitasmotiv auszuleuchten. Die Eitelkeit und die Selbstinszenierung eines Lebens in der Öffentlichkeit verbindet eine Goethe-Büste auf unzähligen Kaminsimsen mit dem Verschleiß der Bilder von Marilyn Monroe ebenso wie der Versuch, mit der Bildproduktion dem Tod trotzen zu können. Ein paar Räume weiter sind Gipsabgüsse der „Sklaven“ von Michelangelo, die dem Stein auch als unbehauenes Material eine eigene Qualität zubilligten, mit den großen Leinwandskripturen von Cwy Twombley zusammengebracht, die der leeren Leinwand als offenes Feld eine eigene Bedeutung zukommen ließen. Mit solchen Analogien durchstößt die Inszenierung nicht nur Epochengrenzen, sondern kitzelt auch den Ehrgeiz des Betrachters wach, weitere Beziehungen zu entdecken.

Devise „Less is more“

Auch wenn man natürlich Teile der Sammlung wiedererkennt, vor allem von Josef Beuys, Anselm Kiefer oder Diter Roth, so gibt es doch überraschende Entdeckungen: etwa dort, wo sich Lyonel Feininger und Hans-Peter Feldmann, den man sonst eher als strengen Wächter von öffentlichen Bildpolitiken kennt, als Liebhabern von Spielzeug begegnen. Angestrahlt von Keksdosenscheinwerfern drehen sich bei Feldmann kleine Karussells voll besetzt mit Spielzeug, Nippes und anderen Dingen, deren Schatten an der Wand einen Tanz aufführen. Ebenso einladend ist ein „Jardin d’ hiver“ mit Zimmerpalmen und naturkundlichen Stichen, der auf ein Konzept von Marcel Broodthaers zurückgeht.

Was für eine Ausstellung dieser Größenordnung erstaunt, ist, mit wie wenig Anstrengung man durch die Hallen und Raumfluchten kommt. Das liegt nicht nur an der thematischen Konzentration, sondern auch am Verzicht auf Quantität. Dass allerdings die Devise less is more hier zugleich zu bedeuten scheint, dass nur sehr wenige Künstlerinnen dabei sind, leuchtet nicht ein.

Bisher war eines der Probleme im Hamburger Bahnhof, dass die Sammlungen nach Leihgebern und Stiftern getrennt auch so etwas wie einen Schaukampf der Prominenz veranstalteten. Jetzt sind die einzelnen Sammlungsteile zwar immer noch präsent, der Fokus der Aufmerksamkeit aber hat sich verschoben auf die inhaltlichen Verbindungen der Werke. Kittelmann achtet die Ressource Aufmerksamkeit des Besuchers: Und um sie wachzuhalten, verzichtet er auch auf viele bekannte Namen.