Historiker Andresen über den Heimatbund: "Die waren vorher schon Eliten"

Eliten-Club mit teilweise brauner Vergangenheit: Der Schleswig-Holsteinische Heimatbund spielte eine wichtige Rolle bei der Identitätsbildung des Landes nach dem Zweiten Weltkrieg, sagt der Historiker Knud Andresen.

Vom Heimatbund organisiert: Trachten beim Schleswig-Holstein-Tag. Bild: dpa

taz: Herr Andresen, welche Rolle spielte der Schleswig-Holsteinische Heimatbund bei der Entwicklung einer Landesidentität?

Knud Andresen: Mit seinem Konzept des Landesbewusstseins hat er zeitweise eine große Rolle gespielt. Denn das Land Schleswig-Holstein hatte durch die weit überdurchschnittliche Belegung mit Vertriebenen und die mächtige Bewegung um die dänische Minderheit, die die Grenze verschieben wollte, einen hohen Bedarf an Identitätsstiftung. Die Geschichtspolitik des Heimatbundes ist deshalb eng auf die Entwicklung des Landes bezogen.

Wie sah das praktisch aus - die Identität zu gestalten?

Das ging in erster Linie über die Geschichtspolitik. Der Heimatbund argumentierte über Geschichtsdarstellungen, um politische Schlussfolgerungen zu legitimieren. Sie haben Zeitschriften gemacht, Ausstellungen gestaltet, in die sie Schulklassen führten, und vor allem Multiplikatoren koordiniert.

Welche Menschen standen dahinter?

Das Bildungsbürgertum, die Meinungsführer auf dem Lande vor allen Dingen, teilweise aber auch in den Städten: Bürgermeister, Lehrer, ehemalige Staatssekretäre, Referatsleiter.

KNUD ANDRESEN 29, ist Historiker und Studienleiter der Gustav-Heinemann Bildungsstätte in Malente. Er hat an der Universität Kiel studiert. Das Buch über den Schleswig-Holsteinischen Heimatbund ist seine Doktorarbeit.

Was haben die Leute in der Nazi-Zeit gemacht?

Es hat die üblichen Verwicklungen gegeben. Der erste Geschäftsführer war ein in der Nazi-Zeit belasteter Mensch, und so verhielt sich das teilweise auch mit anderen.

Zum Beispiel?

Es gab einen Schulungsleiter, der in Nordschleswig unter der deutschen Minderheit in Dänemark die Jugend indoktriniert hatte für den NS-Staat. Das war besonders pikant, weil Nordschleswig ja gar nicht zu Deutschland gehörte. Nach dem Krieg gab es Prozesse gegen solche Leute, er hat eine der höchsten Strafen bekommen. Und genau dieser Mann war beim Heimatbund involviert. Der wollte auch Schriftleiter - heute würde man sagen Chefredakteur - der weit verbreiteten Heimatbundzeitung werden. Aber das ist er nie geworden, weil der Leiter der Vorgängerorganisation der Landeszentrale für politische Bildung seine Vergangenheit öffentlich gemacht hat.

Der wurde intern geduldet?

Intern, das kann man an den Akten sehen, hielt man ihn nicht mehr für vermittelbar, aber man hat daran nicht gerüttelt. Er hat für den Heimatbund auch so ein Heftchen rausgegeben, wie man denn die Jugend für den Heimatbegriff motivieren kann. Und das ist dann im Prinzip so, wie er das schon in den 1930er und 40er Jahren in Nordschleswig gemacht hat: Mit Sonnenwendfeiern, ums Feuer herumtanzen und ähnliche Dinge.

Welche Rolle spielte denn die Aufarbeitung der Nazi-Verbrechen bei der Identitätsfrage? Erst gar keine. Damit hat man sich nicht beschäftigt. Das Thema ist von außen herangetragen worden, erst Ende der 70er Jahre.

Wie unterscheidet sich das von dem Rest der Gesellschaft in der damaligen Zeit?

Das waren die Eliten der Gesellschaft, die waren auch vorher schon Eliten. Die hatten kein so großes Interesse an Aufarbeitung gehabt und hatten eine andere Sicht darauf. Sie sind typisch für die Gesellschaft der Zeit. Aufarbeitung ist nicht aktiv deren Thema gewesen. Die wollten aber auch nichts vertuschen. Mit den ganz schlimmen Nazis wollten die eben nichts zu tun haben.

Die "Volksgemeinschaft" lebte in der "Heimatgeschichte" weiter, behaupten Sie. Wieso?

In der Heimat wird behauptet und in der Volksgemeinschaft ja irgendwie auch, dass alle die gleichen Interessen haben, dass es etwas gibt, das im Interesse des Landes ist. Was ja eigentlich Quatsch ist: In Schleswig-Holstein leben rund 2,6 Millionen Menschen und die haben natürlich nicht alle das gleiche Interesse. Nun ist Volksgemeinschaft ja ein Nazi-Begriff, aber es gibt da Anknüpfungspunkte. Das sind Grauzonen.

Wann werden die Grauzonen braun?

Der Heimatbund hatte über viele Jahre einen Geschäftsführer, Hans-Joachim von Leesen, der heute offen im rechtskonservativen bis intellektuell-rechtsextremen Milieu drin ist. Er schreibt für die Junge Freiheit, publiziert in einschlägigen Verlagen, war für die Staatspolitische Gesellschaft unterwegs. Das hat er aber als Geschäftsführer nicht offen gezeigt. Der hat versucht, den honorigen Heimatbund als Scharnier für seine Vorstellungen zu benutzen. Man muss aber sehen, dass wir eine andere Gesellschaft hatten. 1980 war das eher normal, 1994 schon nicht mehr. Dieser Mensch ist aber auch nicht typisch für den Heimatbund, man distanziert sich von ihm.

Wie geht der Verein heute mit seiner Vergangenheit um?

Ich stelle das Buch erst übermorgen bei denen vor, ich weiß also nicht, wie die drauf sind. Der Vorsitzenden ist das furchtbar unangenehm. Der Verband hat heute keinen großen direkten politischen Anspruch mehr, sondern ist auf Projekte im Naturschutz und in der Kulturpflege bezogen. Das Forschungsprojekt, aus dem das Buch entstanden ist, hat eine Anschubfinanzierung vom Heimatbund bekommen.

Wie bewerten Sie den Verein?

Mir ist nie so klar gewesen, wie groß der Einfluss des Vereins zeitweise war, das ist er ja schon 20 bis 30 Jahre nicht mehr. Der Verein hat die Zielrichtung eines geschlossenen Landesbewusstseins aufgegeben und arbeitet nun unideologisch sachbezogen.

Knud Andresen: "Schleswig-Holsteins Identitäten - Die Geschichtspolitik des Schleswig-Holsteinischen Heimatbundes (1947-2005)", Wachholtz Verlag

Diskussion und Buchvorstellung: Mittwoch, 18 Uhr, Landeshaus Kiel, Düsternbrooker Weg 70

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