Kommentar Russland-Wahl: Putins potemkinsche Dörfer

Im Kreml dürfte Katerstimmung herrschen: Obwohl die Wahl zum Referendum über Putin gemacht wurde, erhielt der Präsident Millionen Stimmen weniger als 2004.

Auf den ersten Blick hat Wladimir Putins Vereinigtes Russland einen glänzenden Sieg errungen. Mit mehr als 60 Prozent der Stimmen für die Kremlpartei und rund 18 Prozent für die restlichen, loyalen Blockflötenparteien verfügt der Kreml über eine Duma, in der sich keine einzige kritische Stimme mehr regen dürfte. Im Sprachgebrauch des Kremls heißt dies souveräne Demokratie - die organische Einheit von Herrschern und Beherrschten. Das gibt es eigentlich nur in der Theorie.

In Wirklichkeit sind weder der Sieg noch die Methoden der Machthaber, mit denen dieses Ergebnis errungen wurde, souverän zu nennen. Zieht man die Faktoren Druck, Manipulation und Erpressung ab und stellt auch die hohe Wahlbeteiligung infrage, die sich ausgerechnet in den kriminellsten Regionen des Landes der 100-Prozent-Marke näherte, dann ist der Erfolg bestenfalls ein Pyrrhussieg. Obwohl der Kreml den Urnengang in ein Referendum über Putin und dessen politische Zukunft als "nationaler Führer" ummünzte, erhielt der Präsident 7 Millionen Stimmen weniger als noch bei der Präsidentschaftswahl 2004.

Im Kreml dürfte deshalb eher Katerstimmung herrschen. Etwas mehr als ein Drittel der Wahlberechtigten hat den Willen der Obrigkeit abgesegnet. Doch niemand weiß, wie viele es freiwillig taten. Ein paar weniger Prozent, dafür aber ein demokratisches Mandat hätten Putin mit mehr Legitimation ausgestattet. Jetzt steht er auf gleicher Stufe mit dem weißrussischen Potentaten Alexander Lukaschenko. Selbst Hugo Chávez, dem Venezolaner, dürfte das Eingeständnis seiner Niederlage im Referendum international einen besseren Leumund verschaffen.

Die Parlamentswahl in Russland hat weder die Lage geklärt noch einen Weg aufgezeigt, wie Russland - mit oder ohne Putin - vom Frühjahr an regiert werden soll. Stabilität ist nur noch eine Beschwörungsformel. Aus dem Referendum geht die Elite noch unsicherer hervor, als sie zuvor schon war. Außenpolitisch wird sich dies in wütenden Hasstiraden gen Westen Luft machen. Innenpolitisch ist zu befürchten, dass die autoritäre Schraube noch stärker angezogen wird. Denn das Misstrauen gegen die Bürger sitzt tief - von "organischer Einheit" keine Spur.

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Jahrgang 1956, Osteuroparedakteur taz, Korrespondent Moskau und GUS 1990, Studium FU Berlin und Essex/GB Politik, Philosophie, Politische Psychologie.

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