RALPH BOLLMANNMACHT
: Vorgetäuschter Tourismus

Dürfen Politiker in Urlaub fahren? Sie müssen. Auch wenn sie in den Ferien nichts anders tun als sonst auch

Es ist ein Thema, über das italienische Zeitungen jeden Sommer gern berichten. Familien, die sich Ferien am Strand nicht leisten können, barrikadieren sich in ihrer eigenen Wohnung ein. Sie kaufen Vorräte an Lebensmitteln, halten die Fensterläden verschlossen und schleichen übers Parkett. Hauptsache, sie haben in den Augen der Nachbarn der sozialen Konvention genüge getan.

Seit ich Parlamentsberichterstatter bin, kann ich ein ähnliches Phänomen aus der Nähe beobachten. Auch Politiker täuschen Urlaub eher vor, als dass sie ihn wirklich machen. Sie verhalten sich wie die italienischen Familien, nur unter umgekehrten Vorzeichen. Im Gegensatz zu ihnen wechseln sie den Ort. Aber sie machen dasselbe wie sonst auch. Sie telefonieren, geben Interviews, organisieren Mehrheiten.

Seine Ferien in Kärnten, heißt es nun in den Medien, habe sich Umweltminister Norbert Röttgen „anders vorgestellt“. Seine Abwesenheit habe die Gegner im Rheinland erst ermutigt, sich im Streit um den CDU-Landesvorsitz zusammenzurotten. Sie habe auch Röttgens Widersachern in der Atomdebatte freie Bahn gelassen. Als ob der Mann beim Kofferpacken die Agenda nicht gekannt hätte.

Aufs Wegfahren zu verzichten, das ist für einen Politiker allerdings auch keine gute Idee. Es wirkt unsouverän, gilt als Zeichen von Nervosität. Hätte Röttgen in Berlin oder Bad Honnef ausgeharrt, wäre schon dieser Umstand als Beleg für wachsende Bedrängnis verstanden worden. Wie in der Zeit von Euro-Rettung und Präsidentenrücktritt, als Kanzlerin Angela Merkel so viele Termine absagte wie noch nie. Das Chaos im Kalender unterstrich das Prekäre ihrer Lage.

Ein populäres Onlineportal verstieg sich zu der Bemerkung, man könne sich während Merkels Urlaub schon mal an eine Hauptstadt ohne sie gewöhnen. Als ob der Urlaub das Problem wäre und nicht der Mangel an Abstand und Erholung in den Monaten zuvor. Dass selten so schlecht regiert wurde wie im letzten Dreivierteljahr, hängt auch mit Erschöpfung zusammen. Nach dem Wahlsommer 2009 wollten sich die Akteure eigentlich keinen Stress mehr machen. Gerade deshalb haben sie ihn dann bekommen.

Es wäre also angezeigt, dass Deutschlands Politiker in diesen Wochen richtig Urlaub machen. Aber vom Handy kommen sie nicht los. Italiens Stressforscher weisen regelmäßig darauf hin, dass vorgetäuschter Urlaub anstrengender ist als der Alltag.

Der Autor leitet das Parlamentsbüro der taz Foto: Archiv