Rot-grünes Herzflimmern

ERGEBNISSE Schwarz-Gelb ist in Schleswig-Holstein abgewählt. Doch für Rot-Grün reichte es nicht. Die Piraten sind zu stark. CDU und SPD liegen gleichauf. Die Linkspartei fliegt erstmals wieder aus einem Landtag

VON HANNA GERSMANN

Sympathisch, nett – so wollte SPD-Spitzenkandidat Torsten Albig siegen. Er ließ auf jedes Plakat ein Herz und den Slogan „Mein Lieblingsland“ drucken. In den Umfragen lag er vorne, er hatte gute Chancen, Ministerpräsident zu werden. Doch aus Albigs Wunschkoalition Rot-Grün wird nichts, ob er den Posten des Ministerpräsidenten in einer großen Koalition einnehmen kann, war zunächst unklar.

Der Nochbürgermeister von Kiel und seine Partei landen nach ersten Hochrechnungen bei rund 30,5 Prozent, CDU-Kontrahent Jost de Jager auch. Die Grünen liegen bei 13 Prozent. Erstarkt sind derweil die Piraten: 8,5 Prozent. Und auch die FDP schafft den Sprung in den Landtag mit 8,5 Prozent. Derweil fliegt die Linkspartei erstmals aus einem Landesparlament wieder raus – 2,5 Prozent. Die vermeintlich kleine Wahl in Kiel am Sonntag manifestiert große Änderungen in der Parteienlandschaft.

Schwarz-Gelb, die bisherige schleswig-holsteinische Landesregierung unter Peter Harry Carstensen, ist abgewählt – nur zweieinhalb Jahre nach der letzten Abstimmung. Das Landesverfassungsgericht hatte die Neuwahl im Norden angeordnet, es hielt die Sitzverteilung im Landtag für nicht rechtmäßig.

Noch im März hatte es nach gut 50 Prozent für Rot-Grün ausgesehen. Die CDU kämpfte mit sich. Der 65-jährige Carstensen hatte früh angekündigt, sich aus der Politik zurückziehen. Sein Nachfolger Christian von Boetticher („Es war schlichtweg Liebe“), ging, als sein Verhältnis zu einer 16-Jährigen bekannt wurde. Jost de Jager kam, 47, Sohn einer Pfarrersfamilie, Landeswirtschaftsminister, wenig bekannt. Die FDP dümpelte derweil bei zwei Prozent, mit den Piraten rechnete kaum jemand. Doch dann traten die Piraten dem Vorwurf entgegen, eine Einthemenpartei zu sein, gaben sich das Motto „Jetzt mit mehr Inhalt“. Zwar forderten sie etwa den Atomausstieg, der schon längst beschlossen ist. Auch taten sie sich schwer mit einer klaren Haltung gegen rechtspopulistische Tendenzen in der Partei. Und Spitzenkandidat Torge Schmidt bewies in Talkshows Mut zur Lücke. Aber seine Partei bekam Zulauf – und machte vor allem den Grünen Stimmen streitig.

„Man boxt gegen Pudding, wenn man sich mit den Piraten auseinandersetzt“, sagte der grüne Spitzenkandidat Robert Habeck im Wahlkampf. Er wählte den Slogan „Für hier mit Dir“, hat über „Heimat“ geredet, ohne Scheu vorm Sparen. Fast 30 Milliarden Euro Schulden plagen das Land. Habeck stand immer im Verdacht, nicht nur mit Rot-Grün, sondern auch mit Schwarz-Grün zu liebäugeln.

Jost de Jager wäre mit Habeck sicher zurechtgekommen. Der CDUler hat in den letzten Wochen vor allem versucht, sich inhaltlich zu profilieren – über das Thema Schuldenabbau. Er hat die Erhöhung der Pendlerpauschale abgelehnt, das Betreuungsgeld auch. Offenbar hat das gewirkt und er sich – Slogan „Klare Kante Zukunft“ – einen Namen gemacht.

Die Wählerstimmung hat sich im Laufe der letzten Wochen auch zugunsten der FDP gewandelt. Mit einer Kampagne „Wählen Sie doch, was Sie wollen“ hat Krawallmacher und Spitzenkandidat Wolfgang Kubicki offenbar die liberale Klientel für sich gewonnen. Er verschafft der mickernden FDP erst einmal eine Atempause. Ob Bundesparteichef Philipp Rösler der richtige Mann ist, bleibt allerdings offen. Theoretisch könnte auch eine Jamaika-Koalition möglich werden, bei den Grünen wäre sie aber nur schwer durchzusetzen.

In den letzten Tagen, als die meisten schon nicht mehr an einen klaren Sieg von Rot-Grün glaubten, sprach sich Torsten Albig in einem TV-Duell für eine Konstruktion aus, die es nur in Schleswig-Holstein geben kann: die Dänen-Ampel, ein Dreier-Notbündnis aus Rot, Grün und Südschleswigschem Wählerverband. Der SSW, die Partei der aus etwa 50.000 Menschen bestehenden dänischen Minderheit, kam auf 4,5 Prozent und ist von der 5-Prozent-Hürde befreit. Doch das Bündnis hätte kaum mehr als eine Stimme Vorsprung.

Albig hat eine große Koalition mit der CDU nicht prinzipiell ausgeschlossen. Ob er daran festhält, wenn de Jager ihm das Amt des Chefs streitig macht, ist fraglich. „Mir graut vor gar keiner demokratischen Lösung“, so Albig. Es könnte ein Leitsatz für alle Politiker werden. Am Sonntag wählt NRW.