Nicht tödlich, aber illegal

Nach Informationen des deutsch-US-amerikanischen „Sunshine Project“ arbeitet eine Sondereinheit des Pentagon seit Jahren an der Entwicklung ruhig stellender Chemiewaffen – was nach dem C-Waffen-Abkommen von 1993 eindeutig verboten ist

Magischer Staub, der jede Person in einem Gebäude in tiefen Schlaf versetzt

von BERND PICKERT

Die US-Regierung unterhält seit Jahren ein Programm zur Herstellung nicht tödlicher chemischer Waffen, das nach dem Internationalen Chemiewaffen-Übereinkommen (CWÜ) von 1993 verboten ist. Zu diesem Ergebnis kommt die in den USA und Deutschland ansässige Organisation „Sunshine Project“ in ihrem am Dienstag veröffentlichten Bericht. Eineinhalb Jahre hat die Gruppe in den USA recherchiert – jetzt hält sie es für erwiesen, dass die Sondereinheit JNLWD (Joint Non-Lethal Weapons Directorate) des US-Verteidigungsministeriums an so genannten „Calmatives“ arbeitet, also bewusstseinsverändernden oder Schlaf auslösenden Chemikalien für den Einsatz im militärischen Konflikt.

„Ich hätte gern so etwas wie magic dust, magischen Staub, der jede Person in einem Gebäude in Schlaf versetzt, kämpfende Truppe wie Zivilisten“, zitiert das Sunshine Project den Kommandierenden Offizier des JNLWD, Colonel George Fenton, unter Berufung auf den New Scientist.

Derzeit unterhalte das JNLWD ein geheimes Technogieinvestitionsprogramm für nicht tödliche chemische Waffen, das in Zusammenarbeit mit dem Aberdeen Proving Ground der Armee durchgeführt werde, dem ältesten Testgelände der US-Armee. Zwar handelt es sich bei den Waffen, die da erprobt und zur Serienreife entwickelt werden sollen, nicht um Massenvernichtungswaffen. Die Stoffe gelten als „nicht tödlich“. Dieser Definition liegt zugrunde, dass durchschnittlich nicht mehr als eine von 100 betroffenen Personen durch die Folgen des Kampfstoffes zu Tode kommt. Ausprobiert wurden mehrere Stoffe, die den Gegner für längere Zeit außer Gefecht setzen, ohne ihn umzubringen. Damit fallen die Substanzen eindeutig unter die vom Chemiewaffenabkommen als „toxische Chemikalien“ bezeichneten Stoffe und damit unter das Verbot.

Selbst wenn die Wirkung der Stoffe nur im Moment der Berührung auftreten würde, wie etwa bei Reizgasen zur Aufstandsbekämpfung, wäre ihre Anwendung als Kriegswaffe allerdings nach dem Chemiewaffen-Übereinkommen verboten.

Das Sunshine Project belegt mit zahlreichen Dokumenten und Fotografien, dass bereits eine ausgereifte Technik zur Ausbringung dieser „Calmatives“ in 81-mm-Mörsergranaten erarbeitet wurde, die für den Standardmörser der US-Armee ausgerichtet sind. Damit ist es möglich, die Kampfstoffe über eine Reichweite von 2,5 Kilometern zu verschießen.

Tatsächlich war sich die US-Regierung, wenn man dem Sunshine Project Glauben schenken darf, von Beginn an darüber im Klaren, dass die Forschungen gegen das Chemiewaffen-Abkommen verstoßen. Nicht umsonst sind just die internen Einschätzungen der rechtlichen Situation nach wie vor unter Verschluss. Im Chemiewaffenabkommen waren bewusst auch Kampfstoffe für den Einsatz im Krieg verboten worden, die in der Unruhebekämpfung erlaubt sind. Man wollte vermeiden, dass es womöglich beim Einsatz dieser Waffen von einer Seite zu Überreaktionen und einer Eskalation auf der anderen Seite kommt, so dass plötzlich doch ein Krieg mit Massenvernichtungsmitteln geführt würde.

Tatsächlich ist es nicht das erste Mal, dass die USA gegen internationale Waffenkontrollabkommen verstoßen, für deren Einhaltung sie an anderer Stelle der Welt sogar Kriege zu führen bereit sind. Schon vor über einem Jahr, noch bevor die USA die Konferenz zur internationalen B-Waffen-Konvention platzen ließen, hatte das Sunshine Project kritisiert, die USA selbst verstießen durch eine Reihe eigener Forschungsprogramme selbst gegen das Abkommen. War es den US-Militärforschern damals darum gegangen, einige Prototypen biologischer Waffen herzustellen, um wirkungsvolle Schutzmechanismen dagegen zu entwickeln, so geht es bei dem JNLWD eindeutig um die Herstellung solcher Waffen selbst.

Nach Angaben des Sunshine Project gab es gegen diesen Verstoß gegen das Chemiewaffen-Abkommen bereits Proteste von britischer Seite: Eingeweihte britische Offiziere sollen auf die Widerrechtlichkeit des Programme hingewiesen haben. Sie bekamen lediglich zur Antwort, an dem Programm werde weiter gearbeitet.

Auf die neuen Anwürfe des Sunshine Project gab es bislang in den USA noch keine Reaktion. Jan van Aken, der deutsche Koordinator des Projektes, erwartet heftige Diskussionen über die Vorwürfe allerdings auch erst für den 7. Oktober. Dann beginnt in Den Haag das nächste Treffen der Vertragsstaaten der Chemiewaffen-Konvention. Die Vorwürfe gegen die USA sollen dort zur Sprache kommen.

www.sunshine-project.de