„Vater unser, der du bist in der Partei“

In Rumänien treibt das Desinteresse der Menschen an Politik, das in vielen ehemals sozialistischen Ländern zu spüren ist, vor den Parlamentswahlen am Sonntag bizarre Blüten. Gebete und Grillwürstchen ersetzen Programme und Wahlkampf

AUS BUKAREST WILLIAM TOTOK

Im Bukarester Viertel Drumul Taberei, bestehend aus einem Meer von Hochhäusern im grauen Charme der sozialistischen Architektur, stehen an jeder Ecke bunte Zelte, rote, orangene und gelbe. Die roten Zelte gehören den Sozialdemokraten (PSD), die orangenen den Liberaldemokraten (PDL) des Staatspräsidenten und die gelben den Nationalliberalen (PNL) des regierenden Ministerpräsidenten. Sie alle betteln um Stimmen bei den Parlamentswahlen am Sonntag.

Der PNL-Kandidat, Staatssekretär im Industrieministerium, ein kleiner, schlanker Mann mit einem kurzen Oberlippenbart, steht im Ledermantel in der Mitte seines gelben Zelts. Um ihn herum drücken junge Leute in gelben Jacken den Vorbeigehenden Hochglanzbroschüren in die Hände. Auf die Frage, ob seine Partei irgendeine größere Wahlveranstaltung plant, antwortet der Kandidat kurz angebunden, so etwas täten nur die Linken.

Ob der einfache rumänische Wähler den Unterschied zwischen links und rechts begreifen kann, ist schwer zu sagen. Die Programme der einzelnen Parteien und deren Wahlversprechungen sehen nämlich so aus, als würden sie allesamt aus der Feder des gleichen Verfassers stammen. Das wissen die Kandidaten. Sie ködern die Wähler lieber konkret: Schokolade, Speiseöl, Zucker, Glühwein, Feuerzeuge, Grillwürstchen.

Der frühere sozialdemokratische Ministerpräsident Adrian Nastase, gegen den vier Verfahren wegen Korruption laufen, kam zu einer Wahlveranstaltung in seinem Wahlkreis in der Walachei mit einem Hubschrauber voller Geschenke. Die lokalen Honoratioren und Bewohner warteten auf ihn wie auf einen Messias. Das Verteilen von Öl und Zucker organisierte der Bürgermeister höchstpersönlich. Ohne Scheu vor den laufenden Aufnahmegeräten der anwesenden Journalisten versprachen die Beschenkten, am Sonntag ihre Stimme Nastase zu geben.

Aber mehr als die Hälfte der Wahlberechtigten dürfte am Sonntag zu Hause bleiben. Denn vom Gerede vom rumänischen Wirtschaftswunder, von Rumänien als südosteuropäischer Tigerstaat und einem Brottoinlandsprodukt von 121,2 Milliarden Euro halten selbst viele Hauptstadtbewohner überhaupt nichts. Ein Schleier des Fatalismus scheint das Land zu überziehen. Die Aufbruchsstimmung und der Optimismus der Nachwendejahre haben sich verflüchtigt. Bigotterie und eine Flucht in die Hoffnung an das Jenseits ersetzen das Vertrauen in die Demokratie, in den Rechtsstaat und dessen Institutionen.

Ein Kandidat der rechtsradikalen Großrumänienpartei aus Bukarest hat sich als Wahlspot ein Gebet ausgedacht. Darin werden die Rumänen als ein gastfreundliches Volk dargestellt, das sich dem Würgegriff „artfremder Ausländer“ erwehren müsse: „Lieber Gott, gib diesem Volk seine ursprüngliche Würde zurück. Und lass es nicht von Fremden zertreten. Gib uns die Kraft, unsere eigenes Schicksal zu bestimmen, unsere eigenen Vertreter zu wählen, keine Fremden, die uns von auswärts aufgezwungen werden. Beschütze, lieber Gott, dieses rumänische Volk und gib ihm die Hoffnungsströme zurück, damit diese seine gequälte Seele durchfließen.“

Etwas Ähnliches hat auch ein Kandidat der Liberaldemokratischen Partei (PDL), die Präsident Traian Basescu nahesteht, ausgetüftelt: „Vater unser, der du bist in der PDL, geheiligt sei deine Kandidatur, dein Abgeordnetenmandat komme, unser Wille geschehe, dass es kein Politikastertum mehr gebe, gib uns unser täglich Brot und verwandle es nicht in Lehm, erlöse uns von dem Übel, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern.“