In Dagestan brennt die Lunte

ANSCHLAG Das Büro einer Menschenrechtsorganisation wird zerstört. Die Angst, dass Dagestan ein Schicksal wie das Tschetscheniens droht, wächst

■ Selbstmordattentäter töteten am Freitag fünf Polizisten in der russischen Teilrepublik Tschetschenien. Die Täter seien mit Fahrrädern auf Angehörige der Sicherheitskräfte zugefahren und hätten sich dabei in die Luft gesprengt. Mehrere Zivilisten wurden verletzt. Im benachbarten Inguschetien wurde ein Polizist erschossen.

VON BERNHARD CLASEN

BERLIN taz | Auf das Büro der Menschenrechtsorganisation „Mütter Dagestans für Menschenrechte“ ist in der Nacht zum Donnerstag ein Brandanschlag verübt worden. Dies berichtet die russische Menschenrechtsorganisation Memorial. Bei dem Anschlag sei niemand verletzt worden, versichert die stellvertretende Vorsitzende der „Mütter Dagestans“, Gülnara Rustamowa, gegenüber der taz. Doch alle Computer und das Faxgerät seien zerstört worden. Den Schaden schätzt die Organisation auf etwa 10.000 Euro.

Die 2007 gegründete Organisation Mütter Dagestans für Menschenrechte setzt sich für Verschwundene ein. Sie arbeitete eng mit Natalja Estemirowa zusammen, die kürzlich ermordet wurde. Natalja Estemirowa war für die Organisation Memorial tätig. Deren Nachrichtendienst zitiert nun die Vorsitzende des jetzt angegriffenen Vereins, Swetlana Isajewa, mit der Vermutung, dass Angehörige der staatlichen Machtstrukturen hinter dem neuen Anschlag stünden. Man lasse sich aber nicht einschüchtern und werde mit der Arbeit fortfahren, versicherte Isajewa.

„Offiziell heißt es, ein Kurzschluss habe das Feuer ausgelöst“, so Rustamowa am Telefon. Das aber erscheint völlig unglaubwürdig, weil das Büro seit zwei Wochen ohne Strom gewesen sei. Beim Betreten des Büros nach dem Anschlag sei ihr starker Kerosingeruch aufgefallen.

Unterdessen ist in der Nähe der Stadt Kisyljurt erneut ein Polizist einem Mordanschlag zum Opfer gefallen. Am 13. August hatten Aufständische in Dagestan sieben Frauen, die in einer Sauna beschäftigt waren, und in einer benachbarten Milizstation vier Milizionäre ermordet. Im Juni war der dagestanische Innenminister Adilgerei Magomedtagirow erschossen worden. Fast täglich werden in Dagestan Milizionäre überfallen. Nicht selten enden diese Überfälle tödlich.

Wie erbarmungslos der Kampf zwischen Sicherheitskräften und Aufständischen in Dagestan ist, zeigt eine Nachricht vom 3. August auf dem Internetportal kasparov.ru. Nach einem kurzen Bericht über einen Hinterhalt, in den Sicherheitskräfte Aufständische gelockt hatten, heißt es lapidar: „Alle Festgenommenen wurden getötet.“

Es häufen sich Gerüchte in der russischen Teilrepublik Dagestan, dass die Ausrufung einer „Konterterroristischen Operation“ bevorstehe. Drei Einheiten von Spezialeinsatztruppen des russischen Innenministeriums seien in den letzten Tagen in Dagestan eingetroffen, berichtet das Internetportal Kavkaskij Uzel. Dagestan liegt zwischen dem Kaspischen Meer und Tschetschenien. In Tschetschenien hatte der von Russland eingesetzte Präsident Ramsan Kadyrow Ende März die „Konterterroristische Operation“ nach zehn Jahren für beendet erklärt. Doch auch wenn die Kriegshandlungen offiziell zu Ende sind, sind dort Verschleppungen und Morde weiter an der Tagesordnung.

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