VOR DEM 60. JAHRESTAG DER VOLKSREPUBLIK CHINA MACHEN POLIZISTEN IM PEKINGER BOTSCHAFTSVIERTEL NACHTS RADAU
: Was ist los mit Sambia?

Nebensachen aus Peking

Jutta Lietsch

Mein Kiez im Botschaftsviertel, ganz in der Nähe der Sanlitun-Barstraße im Osten Pekings, ist in diesen sonnigen Septembertagen ein Ort zum Verweilen. Die Sonne scheint, die Luft ist klar, an der östlichen dritten Ringstraße blühen die Rosen. Die Straßenrestaurants sind bis tief in die Nacht besetzt, Pärchen und Freunde treffen sich zu Fleischspießen, Nudeln und Bier. Nachts allerdings ist es nicht ganz leise. Autos hupen, aus dem Klub „China Doll“ wummert es. Deshalb drehe ich mich gewöhnlich nur grimmig im Bett herum, wenn mich bei geöffnetem Fenster wieder lautes Geschrei Betrunkener aus dem Schlaf reißt.

In der vergangenen Woche klingt das Krakeelen plötzlich anders als sonst: Um ein Uhr morgens rennen Polizisten mit Helm, Schild und Knüppel über die kleine Straße vor unserem Haus. Schrägt gegenüber liegt die Botschaft von Sambia, von dort kommt der Krach. Vor dem Tor schwenken rund zwei Dutzend Männer Transparente und rufen Parolen. Immer neue Sicherheitsleute in Kampfmontur eilen herbei. Blaulicht flackert. Per Megafon rufen sie die Protestierenden auf, nach Hause zu gehen.

Was ist los mit Sambia? Gibt es diplomatische Verwicklungen? Eine Demonstration mitten in der Nacht? Die Uniformierten kesseln die Protestierer ein. „Wir üben nur“, antwortet ein Offizier. „Das sind unsere eigenen Leute.“ Nach einer Dreiviertelstunde ist das Spektakel vorbei. Demonstranten und Polizisten stellen sich in Reih und Glied auf und traben im Gleichschritt davon.

Merkwürdiges geschieht derzeit in Peking, und das hat seinen Grund: Am 1. Oktober feiert die Volksrepublik mit einer gewaltigen Militärparade und mit Umzügen ihren 60. Geburtstag. Soldaten, Studenten, Schüler, Rentner und Hausfrauen, insgesamt 200.000 Menschen, üben dafür seit Monaten.

Nichts darf in den Augen der Organisatoren schiefgehen, kein Protest die Inszenierung stören. Armee und Polizei sollen, so die Anweisung der Partei, für ein „stabiles und friedliches Umfeld“ der Feier sorgen. Mehrere Dissidenten sind aufgefordert worden, die Hauptstadt zu verlassen, Bittsteller dürfen wiederum nicht hinein. Soldaten und Polizisten aus den Nachbarprovinzen sind zur Verstärkung nach Peking verlegt worden.

In unserem Treppenhaus hängt ein Anschlag, der uns, die „lieben Bewohner“, darauf aufmerksam macht, dass wir „aus Sicherheitsgründen“ vom 30. September bis zum 1. Oktober keine Gäste in unsere Wohnung lassen können. Bewohner der Häuser an der Paradestrecke dürfen ihre Balkons nicht betreten und die Fenster nicht öffnen. Wie im Olympia-Sommer kontrollieren Sicherheitsleute in diesen Tagen auch Wohnungen von Ausländern: „Wie viele Personen leben hier? Passnummer?“

Interviews auf dem Tiananmenplatz im Vorfeld des 60. Jahrestags sind verboten, Fotos und Filmaufnahmen ebenfalls. Nur die amtliche Nachrichtenagentur Xinhua darf Bilder publizieren. Die chinesischen Zeitungen drucken schicke Fotos von Soldatinnen beim Training, deren Vorgesetzte mit Messband das absolute Gleichmaß der Erscheinung kontrollieren.

Für ihre Mühen empfangen die Teilnehmer der Parade eine ganz besondere Belohnung, gab ein Politiker kürzlich bekannt: Sie werden als Erste gegen die Schweinegrippe geimpft.