Russicher Ex-Premier Jegor Gaidar gestorben: Puh, der eiserne Bär

Der frühere Premier Jegor Gaidar erliegt im Alter von 53 Jahren den Folgen eines Blutgerinnsels. Er verordnete Anfang der 1990er Jahre dem kollabierenden Russland eine Schocktherapie.

Jegor Gaidar war zeitweilig der bestgehasste Mann Russlands. Bild: ap

MOSKAU taz | "Ich wünsche mir, dass Russland langweilig wird, wenigstens für ein paar Jahrzehnte", sagte Jegor Gaidar, als er 2003 aus der aktiven Politik ausschied. Bis dahin war der Expremier noch Abgeordneter der demokratischen Partei Union der Rechtskräfte in der Duma. Mit "langweilig" beschrieb der Ökonom Gaidar einen Traum: dass sich das von Eruptionen periodisch heimgesuchte Russland in einen normalen Staat mit gleichen Spielregeln für alle verwandeln möge. Am Mittwoch starb Gaidar im Alter von 53 Jahren an den Folgen eines Blutgerinnsels.

Von seiner Vision ist Russland weit entfernt. Weiter noch als im Herbst 1991, als ihn der damalige Präsident Boris Jelzin zum Premier einer Reformregierung machte. Gaidar übernahm die titanische Aufgabe, die bankrotte Plan- in eine Marktwirtschaft zu überführen und die Folgen eines kollabierenden totalitären Systems aufzufangen. Im Januar 1992 leitete er eine Schocktherapie mit der Freigabe der Preise ein. Die Kosten der Liberalisierung waren hoch, denn sie brachte die Bevölkerung um ihre Ersparnisse. Aus Gaidar wurde der bestgehasste Mann Russlands.

Das reaktionäre Parlament erzwang Ende 1992 seine Entlassung. Der Premier hatte Fehler begangen. Übersehen wurde, dass er nach einem Jahr den Hunger gebannt und einen drohenden Bürgerkrieg vereitelt hatte. Das Stigma des gnadenlosen Reformers wurde er seither nicht mehr los. Die Anfeindungen ließ sich der geschasste Premier jedoch nicht anmerken.

Dem pummeligen Mann fehlte jedes Charisma. Aber er war ein integrer und unbestechlicher Politiker, eine ungewöhnliche Erscheinung besonders in Russland. "Puh, der eiserne Bär" nannten ihn seine politischen Freunde. Gaidar war mehr Wissenschaftler als Politiker, kompromisslos und mutig. Im Herbst 1993, als die Reaktion zum bewaffneten Staatsstreich aufrief, appellierte er an die Moskauer, die junge Demokratie zu verteidigen. Zehntausende folgten dem Ruf. In der letzten Zeit widmete er sich der Wissenschaft vor allem mit einem Ziel: die von den Machthabern gepflegten ewigen russischen Mythen zu dekonstruieren. (khd)

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