Genozid-Gedenken im Herzen Istanbuls

TÜRKEI Erstmals wollen Intellektuelle und Künstler mit einer Veranstaltung an die armenischen Opfer des Massakers von 1915 erinnern. Armenien setzt unterdessen den Prozess der Annäherung aus

VON JÜRGEN GOTTSCHLICH

Erstmals in der Geschichte der türkischen Republik soll es an diesem 24. April anlässlich des 95. Jahrestags des Genozids an den Armeniern auch in der Türkei eine Veranstaltung geben. Eine Gruppe von Intellektuellen, Künstlern und Journalisten hat dazu aufgerufen, sich am Abend des 24. April auf dem zentralen Taksim-Platz in Istanbul zu versammeln. Unter dem Motto „Dies ist unser aller Schmerz“ soll dann der Opfer der Armenier-Massaker im Osmanischen Reich in der Zeit von 1915 bis 1917 gedacht werden. Dabei wurden rund eine Million Armenier ermordet oder kamen bei Deportationen um.

Die Gedenkveranstaltung ist von derselben Gruppe initiiert, die 2008 eine Unterschriftenkampagne im Internet gestartet hatte, bei der sich jeder individuell bei den Nachkommen der ermordeten Armenier entschuldigen konnte. Damit wollten Zehntausende ihren Protest zum Ausdruck bringen, dass sich bis heute noch kein türkischer Politiker offiziell für das Leid der Armenier entschuldigt hat.

Obwohl sich an dieser Haltung nichts geändert hat, ist in den vergangenen zwei Jahren viel passiert. Die Türkei und Armenien gingen aufeinander zu, indem der türkische Präsident Abdullah Gül und sein armenischer Kollege Sergei Sarkisian das jeweils andere Land besuchten und weitreichende bilaterale Verhandlungen einleiteten.

Diese mündeten 2009 in einen Vertrag, der die wechselseitige diplomatische Anerkennung und die Öffnung der Grenze zwischen der Türkei und Armenien vorsieht. Teil dieses Vertrags ist auch die Einsetzung einer internationalen Historikerkommission, in der neben armenischen und türkischen Historikern auch internationale Experten in den Archiven der betroffenen Länder forschen sollen.

Bis jetzt ist dieser Vertrag jedoch weder vom türkischen noch vom armenischen Parlament ratifiziert worden. Der wichtigste Grund dafür ist, dass Ankara von der armenischen Regierung fordert, dass sie im Konflikt um die besetzte Enklave Bergkarabach in Aserbaidschan Entgegenkommen gegenüber den Aseris zeigt. Am Donnerstag legte Armenien die Ratifizierung des Vertrags mit der Türkei auf Eis. Da die Türkei sich weigere, die Vereinbarungen ohne Vorbedingungen in angemessener Zeit zu ratifizieren, werde der Prozess im armenischen Parlament ausgesetzt, erklärte die Regierung in Jerewan. Man betrachte die Phase der Normalisierung vorerst für beendet, sagte Präsident Sarkisian in einer Fernsehansprache. Wie schwierig die Annäherung ist, zeigte sich auch kürzlich, als der türkische Premier Erdogan drohte, die geduldeten illegalen armenischen Saisonarbeiter in der Türkei auszuweisen. Das hat jedoch auch in der Türkei zu heftigen Protesten geführt und den Diskussionen über die armenische Frage einen neuen Schub gegeben.

Im türkischen Fernsehen kommen Vertreter der Völkermord-These zu Wort, wenngleich die Regierung dies zurückweist. Auch die Organisatoren der Gedenkfeier am Samstag vermeiden es, von Völkermord zu sprechen. Es geht ihnen darum, ihre Anteilnahme an dem Leid der Armenier zu bekunden.