LESERINNENBRIEFE
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Stresstest für alle Parteien

■ betr.: „Stresstest für die Grünen“, taz vom 5. 5. 11

Ist es wirklich nur ein „Stresstest für die Grünen“? In Wirklichkeit steht die Glaubwürdigkeit beider Parteien in hohem Maße auf dem Spiel. Dieter Rulff hat aber recht, wenn er sagt: Auf dem Spiel steht das Vertrauen der Gesellschaft in die Volkspartei und die Einlösung des Anspruchs, eine „echte Bürgerregierung“ zu sein.

Im Oktober soll es also eine Volksabstimmung geben – sofern der Stresstest das Projekt nicht vorher beerdigt. Es wäre die erste Volksabstimmung im Ländle überhaupt – wegen der unerreichbar hohen Hürden. Aus diesem Grund wollten die bisherigen Oppositionsparteien im Jahr 2010 die entsprechenden Passagen der Verfassung novellieren. Sie forderten unter anderem die ersatzlose Streichung des Zustimmungsquorums beim Volksentscheid.

Daran werden sich die Wähler in Baden-Württemberg erinnern. Und deshalb ist es auch irrig, wenn Dieter Rulff sagt, dass unter Volksentscheid nur das verstanden werden könne, „was als Verfahren bereits allseits verbindlich normiert ist“. Diese Sicht der Dinge ist, auch wenn sie sich leider einreiht in eine Phalanx von Kommentatoren, die einer „Volksabstimmung ohne Wenn und Aber“ das Wort reden, völlig abwegig; das Gegenteil ist richtig.

Die Wähler haben am 27. März nicht zuletzt deshalb eine grün-rote Landesregierung ermöglicht, weil sie sich berechtigte Hoffnungen machen durften, dass dadurch auch die direkte Demokratie einen Aufschwung erleben würde. Nach Auffassung des Verfassungsjuristen Roland Geitmann bietet sich für die Landesregierung zur Befriedung des Konflikts nur, freiwillig die einfache Mehrheit der Volksabstimmung zu akzeptieren und das zuvor so auch anzukündigen. Das wäre dann überhaupt kein „taktisches Verhältnis zu Formen der Konsensfindung“, sondern die einzige Möglichkeit, ihre Glaubwürdigkeit nicht zu verlieren. Wer als Läufer beim Hürdenlauf mit dem Ziel einer fairen Volksabstimmungsregelung sich schon beim Start eine Bleiweste umhängen lässt, macht sich nämlich zum Gespött des Publikums. ULRICH GLAUBITZ, Freiburg

Abzocker und Vorteilsgrabscher

■ betr.: „Arzt im System“, Kommentar von Heike Haarhoff, taz vom 6. 5. 11

Ihre pauschale Verurteilung der Ärzte als bestechlich empfinde ich als diskriminierend und undifferenziert. Ich habe es satt, als Ärztin in den Medien heruntergemacht und angek…tzt zu werden. Ich kann mir schlecht vorstellen, dass der Bürger als Patient Ihren Kommentar goutiert. Unsere Patienten kennen inzwischen mehr als zur Genüge die Begrenzungen der Kassenmedizin, unter denen sie selbst und ihre Ärzte leiden. Sie vertrauen ihrem Arzt, schätzen seine Arbeit, stimmen mit den Füßen ab, vermeiden Praxen, in denen sie mit ihrem Leid und ihren Leiden nicht ernst genommen werden. Überprüfen Sie bitte Ihr Berufsbild von den „Halbgöttern in Weiß“. Welche Ärzte suchen Sie denn um Himmels willen auf, Frau Haarhoff? Werden Sie doch bitte konkret, nennen Sie Ross und Reiter, warnen Sie Ihre Mitbürger vor Abzockern und Vorteilsgrabschern. Geben Sie Butter bei die Fische! RICARDA KAUERT, Wuppertal

Notorischer Bellizist

■ betr.: „Darf man seine Feinde töten?“, sonntaz-Frage v. 6./7. 5. 11

Nichts gegen kontroverse Debatten: Aber muss es ausgerechnet ein Michael Wolffsohn sein, Historiker der Bundeswehr-Uni? Wolffsohn steht als Historiker rechts außen, ist ein notorischer Bellizist, der nach 9/11 gehäuft Kriegspropaganda im öffentlich-rechtlichen Fernsehen betreiben durfte. Unvergessen bleibt eine Diskussion mit Christian Ströbele, bei der Wolffsohn den damals anstehenden Irakkrieg als „kleinen Waffengang“ bezeichnete und die Kriegsskeptiker konsequent in die antiamerikanische Ecke stellte. Gott sei Dank ist es danach etwas ruhiger um ihn geworden. Dass die taz diesem Mann ein Forum bietet, ist schon äußerst befremdlich. Wenn es um die konkrete Frage nach der Richtigkeit der Tötung bin Ladens geht, gibt es sicher seriösere Gesprächspartner. Es gibt einen Unterschied zwischen der Gegenüberstellung kontroverser Sichtweisen und völliger inhaltlicher Beliebigkeit. KLAUS SÖNDGEN, Saulheim

Keine „saubere“ Kernfusion

■ betr.: „Der teuerste Traum der Welt“, taz vom 6. 5. 11

Vielen Dank für die deutlichen Worte zum finanziellen (Alb-)Traum Kernfusion sowie den guten Kommentar von Matthias Urbach. Allerdings ist die Unterzeile „alles ohne Strahlung“ leider falsch: Das als Brennstoff eingesetzte schwere Wasserstoffisotop Tritium ist radioaktiv, selten, chemisch reaktionsfreudig und ebenso wie gewöhnlicher Wasserstoff leicht flüchtig (die zur Fusion zweier nicht radioaktiver Deuteriumkerne erforderlichen Temperaturen sind noch einmal ungleich höher und daher technisch noch weniger im Reaktorbetrieb erreichbar).

Außerdem erinnere ich mich, dass die renommierte Bild der Wissenschaft bereits in den 80er Jahren von der Wirkung der Neutronenstrahlung berichtete, die bei der Fusion ebenso wie bei der Kernspaltung auftritt: Fangen die Atomkerne der umliegenden Materialien diese Neutronen ein, entstehen chemisch identische schwerere Isotope, welche bei ausreichend Neutroneneinfang aber ebenfalls radioaktiv sind. Auch ein Fusionsreaktor wäre also nach einigen Jahren oder Jahrzehnten Betrieb im Inneren stark radioaktiv – die bisher ungelöste Frage des Atommülls stellt sich also auch hier. Der Traum von der „sauberen“ Kernfusion war damit bereits vor Beginn meines Physikstudiums ausgeträumt. JÖRN BRUNKEN, Kasseedorf