Das Opfer vergibt, der Staat nicht

USA Im September 2001 erschoss er zwei Menschen, die er für Araber hielt, und verletzte einen schwer – als Rache für 9/11. Jetzt ist Mark Anthony Stroman hingerichtet worden

„Es ist möglich, zwischen Opfern und Tätern Brücken der Vergebung zu bauen“

RAIS BHUIYAN, ÜBERLEBENDER

VON BERND PICKERT

Um sieben Minuten vor 21 Uhr am Mittwochabend wurde Mark Anthony Stroman für tot erklärt. Der Mann, der 41 Jahre alt wurde, starb im Hinrichtungsraum des Gefängnisses von Huntsville, Texas. Alle Gnadengesuche waren abgelehnt, alle neuen Verfahrensanträge ergebnislos verlaufen. Auch der Oberste Gerichtshof lehnte einen Antrag auf Aufschub der Hinrichtung ab.

2002 war Stroman zum Tode verurteilt worden. Nach den Angriffen auf das World Trade Center vom 11. September 2001 hatte der Mann, der sich selbst stets als „stolzen Amerikaner“ bezeichnete, auf Vergeltung gesonnen. Zwei Menschen, die er für Araber hielt, hatte er erschossen, einen weiteren schwer verletzt. Seine Schwester sei im World Trade Center ums Leben gekommen, führte er später an – und vermischte seine Rechtfertigungsreden mit ausländer- und islamfeindlichen Passagen.

Stroman war schon vor den Taten mehrfach vorbestraft, unter anderem wegen Raub und Kreditkartenbetrug. Als Kind in gewalttätigen Verhältnissen aufgewachsen, bezeichnete er sich selbst in einem Gedicht als „weißen Abschaum“ (white trash).

Die Idee, erst die Hinrichtung eines Mörders verschaffe den Opfern beziehungsweise ihren Angehörigen Frieden und Genugtuung, hatte sich in Stromans Fall ins Gegenteil verkehrt. Seit zwei Jahren hatte sich der aus Bangladesch stammende Rais Bhuiyan, das dritte, überlebende Opfer Stromans, für dessen Leben eingesetzt. „Die Hinrichtung wird nur ein weiteres menschliches Leben auslöschen, ohne aber die Ursachen zu bekämpfen. Wir müssen zeigen, dass es möglich ist, zwischen Opfern und Tätern Brücken der Vergebung zu bauen“, sagt Bhuiyan, dem Stroman 38 Schrotkugeln ins Gesicht geschossen hatte. Bhuiyan war auf dem rechte Auge fast erblindet und leidet bis heute unter Kopfschmerzen. Weil er als Einwanderer aus Bangladesch keine Krankenversicherung hatte, wurden die Verletzungen nicht ausreichend behandelt. Dennoch setzte er sich für Stroman ein.

Diese Unterstützung von unerwarteter Seite ließ auch Stroman nicht unberührt. In einem schriftlich geführten Interview mit der New York Times sagte Stroman vergangene Woche: „Rais Bhuiyan ist eine große Inspiration. Dass er sich für mich einsetzt nach allem, was ich getan habe, spricht Bände. Er hat mich wirklich berührt, und viele andere weltweit auch, vor allem, wo wir nun zehn Jahre lang gehört haben, wie böse der islamische Glaube sein kann.“ Bhuiyan sei „ein Überlebender meines Hasses. Sein tiefer islamischer Glaube hat ihm die Stärke gegeben, das Unentschuldbare zu vergeben, das beeindruckt mich sehr und sollte ein Beispiel für uns alle sein. Der Hass muss aufhören, wir leben alle in dieser Welt zusammen.“

Rais Bhuiyan hat es nicht geschafft, das Leben Mark Stromans zu retten. Auf Bhuiyans Webseite WorldWithoutHate.org steht noch immer der dringende Appell, sich für Stromans Leben einzusetzen, und auf Stromans Seite berichtet dieser, wie er sich auf seine letzten Tage vorbereitet. Beide Seiten waren am Donnerstag noch nicht aktualisiert.