Ruandische Hutu-Miliz spaltet Gericht

JUSTIZ Internationaler Strafgerichtshof lässt Anklage gegen FDLR-Führer Callixte Mbarushimana aus Mangel an Beweisen fallen. Die Vorsitzende Richterin ist dagegen. Anklage will Berufung einlegen

In Busurungi wurden 96 Zivilisten getötet und der Ort dem Erdboden gleichgemacht

BERLIN taz | Der Internationale Strafgerichtshof (IStGH) in Den Haag hat in einem seiner brisantesten Fälle eine kontroverse Entscheidung gefällt. Die Richter der ersten Vorverfahrenskammer entschieden am Freitagabend, den ruandischen Milizenführer Callixte Mbarushimana auf freien Fuß zu setzen und die Anklage gegen ihn fallen zu lassen. Mbarushimana, Exekutivsekretär der ruandischen Hutu-Miliz FDLR (Demokratische Kräfte zur Befreiung Ruandas) saß seit 2010 unter dem Vorwurf von Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit in der Demokratischen Republik Kongo in Haft und wartete auf seinen Prozess.

Der Beschluss fiel mit zwei Stimmen gegen eine. Die Gegenstimme kam ausgerechnet von der Vorsitzenden Richterin der Kammer, Sanji Mmasenono Monageng. Sie erhob in einer Minderheitsmeinung schwere Vorwürfe gegen ihre beiden Beisitzer Sylvia Steiner und Cuno Tarfusser. Diese hätten ihre Schlussfolgerungen „getroffen, ohne wesentliche Beweismittel zu würdigen“, so die Richterin aus Botswana.

Der in Paris lebende Mbarushimana war 2010 unter ähnlichen Vorwürfen festgenommen worden wie im Jahr zuvor in Deutschland FDLR-Präsident Ignace Murwanashyaka und dessen Vize Straton Musoni. Die beiden müssen sich seit Mai 2011 vor dem Oberlandesgericht Stuttgart wegen Verbrechen der FDLR im Kongo verantworten.

Mbarushimana wurde an das IStGH überstellt. Die Den Haager Anklagebehörde warf ihm vor, mit Murwanashyaka und Musoni in Tateinheit Verantwortung für brutale Angriffe der Miliz auf Zivilisten im Kongo im Jahr 2009 zu tragen. Zahlreiche Zeugenaussagen aus dem Kongo wurden im Vorverfahren aufgeboten, die im Detail beschrieben, wie brutal die ruandische Miliz als Reaktion auf eine kongolesisch-ruandische Militäroffensive gegen sie Anfang 2009 ostkongolesische Dörfer verwüstete.

So beschreibt Zeugin 694, wie während der Zerstörung des Dorfes Busurungi durch die FDLR in der Nacht zum 10. Mai 2009 fünf Hutu-Kämpfer eine Frau vergewaltigten. Danach „durchbohrten sie ihre Augen und ihre Kehle mit dem Bajonett ihrer Gewehre und schnitten ihren schwangeren Bauch auf, so dass der sich bewegende Fötus herausfiel“. In Busurungi wurden in dieser Nacht mindestens 96 Zivilisten von der FDLR getötet und der Ort dem Erdboden gleichgemacht.

Die Kammer bestreitet nicht den Wahrheitsgehalt dieser und ähnlicher Zeugenaussagen und auch nicht, dass diese Vorfälle Kriegsverbrechen wären. Sie bestreitet aber, dass Mbarushimana damit etwas zu tun hatte oder davon wusste. Und sie sagt, die Taten waren keine Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Damit ist ihr Beschluss von übergeordneter Bedeutung. Die Anklage, so die Kammer, habe nicht hinreichend bewiesen, dass die FDLR diese Taten im Rahmen eines „systematischen und ausgedehnten“ Angriffs gegen die Zivilbevölkerung beging.

Laut Anklage erteilte FDLR-Militärführer Sylvestre Mudacumura im Kongo seiner Truppe einen Befehl, eine „humanitäre Katastrophe“ anzurichten. Die Beweise dafür seien aber „bestenfalls indirekt“, sagt die Kammer. Man sei „nicht wesentlich überzeugt, dass die FDLR eine Politik verfolgte, die Zivilbevölkerung anzugreifen“. Selbst der Angriff auf Busurungi „kann nicht als Teil einer größeren organisierten Kampagne gewertet werden“.

Solche Feststellungen erregen das Unverständnis der Vorsitzenden Richterin Monageng, die nicht einsieht, warum die vielen Zeugenaussagen nicht in einer regulären Hauptverhandlung zur Sprache kommen sollen. Die Richterin zitiert in ihrer Stellungnahme ausführlich Telefonate zwischen Mbarushimana und dem damals noch in Deutschland frei agierenden Murwanshyaka. „Die Ernte war gut“, soll Mbarushimana zum Massaker von Busurungi gesagt haben. Dies kommt im Beschluss der Kammer nicht vor.

Die Entlastung Mbarushimanas durch die Kammer geht aber mit einer Belastung des in Stuttgart angeklagten Murwanashyaka einher. Der wusste viel mehr, weil die FDLR-Militärführung vor Ort ihm rechenschaftspflichtig war, heißt es. IStGH-Chefankläger Luis Moreno-Ocampo beantragte umgehend Berufung und forderte, Mbarushimanas Freilassung außer Vollzug zu setzen. DOMINIC JOHNSON