In Steglitz tobt der Straßenkampf

In der Debatte um eine Umbenennung der Treitschkestraße wirft die SPD der CDU Antisemitismus vor. Die Union antwortet mit einer Strafanzeige. Hinter dem Streit steckt die SPD-Angst vor Schwarz-Grün

von FELIX LEE

Der Streit um eine mögliche Umbenennung der Treitschkestraße in Steglitz eskaliert. Der SPD-Kreisvorsitzende Michael Arndt wirft seinem CDU-Kollegen Michael Braun „verantwortungsloses und antisemitisches Geschwätz“ vor. Braun hatte die bloße Umbenennung als „Entsorgung von Geschichte“ bezeichnet. Zuvor hatte die SPD schon die Grünen wegen ihrer Haltung in der Debatte angegriffen und der Partei Untätigkeit vorgeworfen. CDU und Grüne kooperieren in Steglitz-Zehlendorf, die SPD ist Oppositionspartei. Die Straße ist nach dem antisemitischen Historiker Heinrich von Treitschke benannt, der als Wegbereiter des Antisemitismus im Deutschen Reich gilt. 1879 schrieb er: „Die Juden sind unser Unglück.“

SPD-Politiker Arndt nannte die Wortwahl Brauns „menschenverachtend“. „Die Namen von Antisemiten haben im Berliner Straßenland nichts zu suchen, genauso wenig wie nationalsozialistische Symbole“, so der SPD-Politiker. Braun wies die Kritik empört zurück. „Das finde ich schon ein starkes Stück“, sagte er – und erstattete Anzeige gegen Arndt wegen Beleidigung.

Braun versteht nach eigener Aussage die Aufregung ohnehin nicht: In der Zählgemeinschaftsvereinbarung mit den Grünen sei vereinbart worden, eine Arbeitsgruppe einzusetzen, die sich mit der Geschichte des Bezirks auseinandersetzt. Dazu gehöre auch Treitschke. Der CDU-Politiker betonte, dass er keine Entsorgung von Geschichte wolle, sondern eine intensive Auseinandersetzung. Deswegen werde neben Grünen- und CDU-Vertretern auch die Jüdische Gemeinde einen Abgesandten in die Arbeitsgruppe schicken.

Später wolle man Hinweisschilder zu Treitschke aufstellen und die Bürger befragen. Gegen Ende der Legislaturperiode könne dann Bilanz gezogen werden, ob eine Umbenennung nicht doch sinnvoll sei. „Aber mit offenem Ausgang“, betonte Braun. Auch die Grünen haben sich für den „Prozess der offenen Geschichtsaufarbeitung“ ausgesprochen, sagte Irmgard Franke-Dressler, die Fraktionsvorsitzende der Grünen in Steglitz-Zehlendorf. Aber für sie ist klar: „Wir sind für eine Umbenennung.“

Warum der Streit um die Treitschkestraße ausgerechnet jetzt hochkocht, darüber kann nur spekuliert werden. An der Stelle, wo momentan noch Karstadt und Wertheim ihre Kaufhäuser betreiben, soll für 390 Millionen Euro ein neues Einkaufszentrum entstehen. Die Treitschkestraße wird in die künftig überdachte Fußgängerzone integriert und dürfte damit allein vom Bekanntheitsgrad enorm aufgewertet werden. Das will die SPD vermeiden. Im April ist Baubeginn.

Wahrscheinlicher jedoch ist parteipolitisches Gezänk. Niemand geringer als SPD-Landeschef Michael Müller griff Ende Februar zunächst nicht die Südwest-CDU an, die sich seit Jahren gegen die Umbenennung stemmt. Er hatte die Grünen im Visier. „Meine Kandidatur als Grünenchefin von Berlin macht ihm Angst, dass demnächst auch auf Landesebene Schwarz-Grün wahrscheinlich wird“, glaubt Franke-Dressler. Sie hat jüngst diese erste schwarz-grüne Zählgemeinschaft in Berlin zustande gebracht. Diese Angst vor dem neuen Parteibündnis auf Landesebene sei jedoch unbegründet, beteuert sie. Benedikt Lux, Grünen-Mitglied im Abgeordnetenhaus, bezeichnete Müllers Angriff als „gnadenlosen Populismus“. Müller habe anscheinend nichts Besseres zu tun, als seinen orientierungslosen Südwestgenossen zur Seite zu springen.

Der Streit um die Treitschkestraße läuft bereits seit Jahren. Im Sommer 2003 hatten unter anderem 3.000 Besucher des Ökumenischen Kirchentags eine Resolution der Aktion Sühnezeichen unterzeichnet, in der die Umbenennung gefordert wurde. Passiert ist seitdem nichts.