Jugendgewalt: CDU hat sich nicht in der Gewalt

Die Union bleibt hart: Sie will 12- und 13-jährige "Mörder und Vergewaltiger" in Geschlossene Heime stecken. Dass es solche Intensivtäter in Berlin gar nicht gibt, stört sie nicht.

Kinder hinter Gitter? Für die CDU kein Tabu.

Fast wäre die Aktuelle Stunde eine Abgeordnetenhausdebatte von vielen geworden. Beinahe hätten sich die Redner aller fünf Fraktionen damit begnügt, ihre gut abgehangenen Meinungen zur Jugendkriminalität vorzutragen. Je nach Couleur hätten all ihre Redner mal mehr von Prävention in Kitas und Schulen gesprochen, mal mehr von Gesetzestreue und Bringschuld von Migranten. Aber Frank Henkel hat die Veranstaltung davor bewahrt, langweilig zu werden.

Der abgelöste Berliner Chefankläger für Intensivtäter, Roman Reusch, wird vom hessischen Justizminister Jürgen Banzer (CDU) umworben. Er will Reusch in eine Expertengruppe zur Jugendkriminalität aufnehmen, wie am Donnerstag ein Sprecher von Justizsenatorin Gisela von der Aue (SPD) bestätigte. Von der Aue äußerte sich am Donnerstag in einer Erklärung grundsätzlich gesprächsbereit. Zudem bestritt sie im Abgeordnetenhaus, für die Ablösung des umstrittenen Oberstaatsanwalts verantwortlich zu sein. "Die Ablösung von Herrn Reusch ist von den zuständigen Behördenleitern, Generalstaatsanwalt Rolf Rother und dem Leiter der Staatsanwaltschaft, Andreas Behm, betrieben und vollzogen worden", sagte von der Aue.

Der Berliner Anwaltsverein (BAV) begrüßte die Personalentscheidung: "Es ist nicht die Aufgabe eines Staatsanwalts, seine persönlichen Ansichten in Fernsehsendungen zu offenbaren, um mit extremen Vorschlägen eigene Rechtspolitik zu machen", sagte der Vorsitzende des BAV, Ulrich Schellenberg. Der Verein hat 3.700 Mitglieder.

Die Staatsanwaltschaft hatte am Dienstag mitgeteilt, dass Reusch zur Generalstaatsanwaltschaft versetzt und von Oberstaatsanwalt Ingo Kühn abgelöst wird. Reusch war mit wiederholten Äußerungen über härtere Strafen für kriminelle Jugendliche aus Einwandererfamilien bei der Behördenspitze und der Justizsenatorin in Ungnade gefallen. "Die Versetzung von Reusch hat nichts mit seiner bisherigen Leistung zu tun", sagte von der Aue. Diese habe sie wiederholt "als hervorragend" gewürdigt. DPA

Der CDU-Innenpolitiker mit Hang zu starken Sprüchen nämlich verkündete, was sonst niemand in seiner Partei tut. Nicht im Land und erst recht nicht im Bund. Henkel also trat ans Rednerpult und sagte allen Ernstes: "Es liegt mir völlig fern, Kinder ins Gefängnis zu stecken." Dabei fordert Berlins Union bereits seit einem Jahr, die Straffähigkeit von 14 auf 12 Jahre zu senken. "Es geht darum, 12- und 13-Jährige, die morden und vergewaltigen, ins geschlossene Heim zu stecken."

Wo denn all die mordenden und vergewaltigenden Kinder steckten, verriet der CDU-Hardliner nicht. Da konnte die Grüne Clara Herrmann aushelfen: "Von über 500 Intensivtätern in Berlin ist lediglich einer unter 14 Jahre. Und der ist auch noch weiblich." Höhere Strafen führten nicht zu weniger Kriminalität.

Die offene Flanke der CDU nutzte auch die SPD. Immerhin hatte die Bundes-Union erst Anfang vergangener Woche den ähnlich klingenden Vorstoß des Hessen Roland Koch zurückgewiesen - und damit auch ihre Berliner Kollegen im Regen stehen lassen. "Sie versuchen nur, Ihre Forderung schönzureden", rief SPD-Innenpolitiker Thomas Kleineidam seinem CDU-Konterpart zu.

Ansonsten mühten sich die Fraktionen, ihre Meinungen beim sensiblen Thema Jugendkriminalität mit Zahlen zu stützen. SPD-Mann Kleineidam zählte auf: "Bei Straftätern unter 18 Jahre haben weit mehr als 40 Prozent einen Migrationshintergrund." Das bezweifelten auch die anderen Fraktionen nicht. Aber aus dieser Zahl zog jede Seite andere Schlüsse.

Unions-Fraktionschef Friedbert Pflüger spürte einen "umgekehrten Rassismus" unter jugendlichen Migranten, die Deutsche als "Schweinefleischfresser", "Nazi-Omas" oder "Scheißdeutsche" beschimpften. Willkommen in Deutschland sei "jeder, der sich an die Gesetze hält".

Kleineidam rief Pflüger zu, er wolle straffällige Migranten "raus aus Deutschland" haben. Die meisten von ihnen seien aber hier geboren. Es sei Unsinn von Pflüger, zu fordern, die jungen Migranten sollten zurück, wo sie herkommen. "In die Berliner Krankenhäuser, oder was?"

Jugendknäste seien überflüssig, urteilte die Linke-Familienpolitikerin Margrit Barth. Weil die Rückfallquote der Insassen rund 80 Prozent betragen habe, seien die Gefängnisse vor 20 Jahren geschlossen worden. "Knäste haben einen Jugendlichen selten besser gemacht."

Schwieriger fiel es da schon zu beantworten, was etwas gegen Jugendkriminalität bringt. Der jugendpolitische Sprecher der FDP, Mirco Dragowski, überraschte mit dem Vorschlag, mehr Streetworker in Schulen zu schicken, damit sie dort ihre Projekte vorstellen könnten. In den Klassenräumen könnten sie die jungen Leute viel leichter für ihre außerschulischen Angebote interessieren.

Bildungs- und Wissenschaftssenator Jürgen Zöllner (SPD) beschränkte sich darauf, Bekanntes vorzutragen: Die Einführung des kostenfreien letzten Kita-Jahres sei Gewaltprävention, ebenso die für 2010 und 2011 geplante Kostenbefreiung zweier weiterer Kita-Jahre, die Einführung der Ganztagsschule und Lehrerfortbildungen. "Wir haben die gesamte Palette, und wir wenden sie an", sagte Zöllner. Mittlerweile hätten 126 Schulen mit der Polizei Kooperationen zur Vorbeugung von Gewalt geschlossen.

Der Grünen Clara Herrmann genügte das nicht: "Die Familien werden von freiwilligen Angeboten der Jugendhilfe kaum erreicht oder verweigern sich." Mehr "Akteure mit Migrationshintergrund und präventive Zusammenarbeit mit Migrationsorganisationen" könnten helfen.

CDU-Hardliner Henkel hörte das nicht. Sein SPD-Gegenüber Kleineidam war an Henkels Platz geeilt, um mit ihm zu reden. Ob er ihn überzeugen konnte, ist ungewiss.

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