DIE EM AUS SPANISCHER SICHT
: Enorme Erwartungen

Almudena de Cabo

Fußball, diese Leidenschaft, die uns für einige Stunden alle Probleme vergessen lässt, brauchen wir Spanier gerade jetzt mehr als sonst. Das Land von Iniesta, Xavi Alonso und Iker Casillas steht in diesen Tagen still, während die Fans gemeinsam „Es-pa-ña“ rufen. Das hat Tradition: An die WM von 1982 im eigenen Land etwa erinnern sich die Spanier gerne, besonders an das Maskottchen, die als Fußball gekleidete Orange „Naranjito“, die auch heute noch mancher Nostalgiker auf dem T-Shirt trägt. Spanien ist damals allerdings nicht besonders weit gekommen.

Überhaupt hatten die Spanier jahrzehntelang alle Erwartungen aufgegeben, jemals über das Viertelfinale einer internationalen Meisterschaft hinauszukommen. Italien oder Frankreich zerschossen regelmäßig alle Hoffnungen – bis sich das als „La Roja“ bekannte Team bildete. Diese Mannschaft schaffte das Unerhörte: den Spaniern die Freude am König Fußball wiederzugeben.

Mit ihnen gewöhnten wir uns ans Gewinnen. Erst die EM gegen Deutschland, dann die WM gegen Holland – was kaum jemand für möglich gehalten hätte. Endlich hatten wir den Stern auf dem Trikot! Die vorher übliche harte Kritik an der spanischen Mannschaft wich seltenem Unmut bei meist uneingeschränkter Identifikation mit unseren Farben.

Nun ist die Erwartung enorm. Wir stehen als Favoriten da, dabei war Druck noch nie hilfreich für die Mannschaft. Der spanische Präsident Mariano Rajoy verlangte bereits einen Sieg von den Spielern – denn „in diesen schweren Zeiten brauchen die Spanier etwas Freude“. Worauf der spanische Trainer Vicente del Bosque sofort klarstellte: „Ich denke nicht, dass ein EM-Sieg die spanischen Probleme löst.“ Vielleicht ist es nicht die Lösung für Spanien, aber zumindest lassen sich so eine Zeit lang die üblichen Gesprächsthemen vergessen, die sonst um Risikoaufschläge, Bankenrekapitalisierung, Arbeitslosigkeit und Räumungsklagen kreisen.

Ich habe schon die letzte EM und WM in Berlin erlebt. Was mir dabei am meisten auffiel, war das große Angebot an Public Viewings. Auch den ungebremsten Patriotismus der Deutschen konnte man sehen, von Flaggen an den Außenspiegeln bis hin zu den Wimpern mancher Fans. Trotzdem habe ich mich immer willkommen gefühlt – selbst bei der letzten Partie Spanien gegen Deutschland. Nach dem Spiel kamen einige enttäuschte Fans mit Feuerwerk vom Nachbartisch und luden mich ein, ihre Raketen zu starten, da ja mein Team gewonnen hatte. Ich frage mich, ob so etwas auch in Spanien passiert wäre – ich glaube nicht.

■ Almudena de Cabo ist Korrespondentin für die spanische Zeitung El Correo und arbeitet für das spanische Fernsehen TVE. Sie lebt seit 2007 in Berlin