„Wir haben verdammt gute Lehrer!“

GEMEINSCHAFTSSCHULE I Baden-Württembergs Kultusministerin Gabriele Warminski-Leitheußer will allen Schulen den Weg zur Gemeinschaftsschule offen halten. Weil das Land sich vor „lancierten Klagen“ fürchtet, soll erst Rechtssicherheit geschaffen werden

■ geboren 1963 in Waltrop/Ruhrgebiet, ist seit Mai Kultusministerin (SPD) in Baden-Württemberg. Ab dem Jahr 2008 war sie Bürgermeisterin für Bildung in Mannheim.

INTERVIEW ANNA LEHMANN

taz: Frau Warminski-Leitheußer, es passt Ihnen doch ganz gut, dass den Baden-Württembergern der Stuttgarter Hauptbahnhof wieder einmal wichtiger ist als die Bildung?

Gabriele Warminski-Leitheußer: So können wir uns wenigstens in aller Ruhe strukturell aufstellen. Wir sind jetzt nach gerade einmal vier Wochen Amtszeit aber gut im Zeitplan, um bei den Schulreformen sorgfältige Entscheidungen treffen zu können.

Wir beobachten mit Spannung, ob Sie es schaffen, die Gemeinschaftsschule in Baden-Württemberg einzuführen. Wie viele Anträge liegen bereits vor?

Wir haben in den vergangenen beiden Monaten rund dreißig Interessensbekundungen für Gemeinschaftsschulen und andere Reformen bekommen. Zehn Kommunen haben sogar schon konkrete Vorhaben in Aussicht gestellt. Diese Anfragen kommen jetzt schon, obwohl wir erst noch dabei sind, die Rahmenbedingungen festzulegen.

Was schließen Sie daraus?

Das zeigt, wie groß die Aufbruchstimmung in der Bildungspolitik im Land ist. Bezeichnend ist, dass die Leute uns anschreiben und fragen; es heißt jetzt werde alles anders, und wir können neu denken. Ob das denn stimme? Man war bisher im Schulbereich in Baden-Württemberg nicht gewohnt, mit neuen Ideen durchzukommen.

Sie wollen Gemeinschaftsschulen erst 2012 genehmigen. Warum die Vorsicht?

Das neue Schuljahr beginnt ja bald, und bis dahin kann ja das Gesetzgebungsverfahren nicht abgeschlossen sein. Wir brauchen Rechtssicherheit, zumal ja damit zu rechnen ist, dass es Klagen gegen die Gemeinschaftsschule geben wird. Wir werden sie also gesetzlich verankern und das Jahr nutzen, um die Schulen zu beraten, die sich auf den Weg machen wollen. Ich habe eine Stabstelle eingerichtet, der Leiter Norbert Zeller steht den Schulen und den Kommunen als Ansprechpartner zur Verfügung.

Die ersten Gemeinschaftschüler werden dort dann also frühestens im Jahr 2013 eingeschult?

Im Schuljahr 2012/13. Das ist der frühestmögliche Zeitpunkt.

Wenn die Gemeinschaftsschulen erfolgreich sein wollen, müssen sie gut ausgestattet sein. Haben Sie schon durchgerechnet, wie viel das kostet?

Das hängt davon ab, wie viele Anträge es gibt. Für uns ist klar, die Gemeinschaftsschulen sollen rhythmisierte Ganztagsschulen sein. Das bedeutet natürlich, dass es mehr kosten wird. Die genauen Kosten sind noch unklar.

Die GEW rechnet, dass man für eine rhythmisierte Ganztagsschule ein Drittel mehr Personal braucht. Das wird also teuer. Hängt es von der Haushaltslage ab, wie viele Gemeinschaftsschulen Sie genehmigen?

Wir werden dafür eintreten, dass alle Schulen, die Gemeinschaftsschule werden wollen, das auch werden können. Bildung ist schließlich einer unserer Schwerpunkte, und wir werden daran gemessen.

Sie haben gerade die Streichung von 711 Lehrerstellen rückgängig gemacht und sich damit das Wohlwollen des Landeselternbeirats gesichert. Welchen Posten Ihres Ministeriums sollen zukünftig schrumpfen?

Erst einmal geht es darum, den Schulbereich zu verbessern. Erst danach könnten wir hier Lehrerstellen streichen. Aber auch dann muss das Geld in der Bildung bleiben, da wir den Kleinkindbereich ausbauen müssen. Uns fehlen noch 40.000 Krippenplätze, um den Rechtsanspruch zu erfüllen. Das Land wird sich daran beteiligen, diese zu schaffen. Wir werden hier also mehr Geld als bisher ausgeben.

Irgendwo müssen Sie sparen. Die Haushalte in Baden-Württemberg haben 48 Milliarden Euro Schulden. Werden Sie die rund 300 Minihauptschulen weiterfinanzieren, oder werden sie geschlossen?

Wir wollen die wohnortnahen Schulen erhalten. Wir werden deshalb die Kommunen beraten, wie sie ihre Schule im Dorf bewahren können.

Sie wollen Sie zu Gemeinschaftsschulen überreden?

Das müssen die Kommunen selbst entscheiden, aber für uns ist die Gemeinschaftsschule die Schule der Zukunft. Ich habe selbst Schreiben von CDU-Bürgermeistern auf dem Tisch. Die tragen Verantwortung für ihre Infrastruktur vor Ort und werden wohl auch den Weg der Gemeinschaftsschule gehen.

Das Land muss sparen, da kommt es nicht gut, wenn Sie als erste Amtshandlung die Personalkosten in Ihrem Haus um 2 Millionen Euro erhöhen.

Es geht einfach darum, das Ministerium überhaupt arbeitsfähig zu machen. Die Vorgängerregierung hat dafür gesorgt, dass entscheidende Stellen im Apparat verschwunden sind. Es gab zum Beispiel keine Stelle für meine Büroleiterin, als ich hier ankam. Ziel ist damit, überhaupt eine Grundlage für unsere Reformpolitik zu schaffen. Diese neuen Stellen werden dann in den nächsten Jahren wieder abgebaut, sie werden den Apparat also nicht vergrößern.

Geht es nicht auch darum, in einem komplett CDU-loyalen Ministerium eigene Leute zu platzieren? Ihre Personalpolitik ist doch erst öffentlich geworden, weil Informationen aus Ihrem Ministerium der Presse zugespielt wurden.

Hier ging tatsächlich ein anonymes Schreiben an die Presse. Das zeigt, dass ich an den entscheidenden Positionen absolut verlässliche Mitarbeiter brauche.

Sie haben gerade die Reform der Lehrerbildung ihrer Vorgängerin unterzeichnet. Es gibt die Ausbildung für Lehrer der Sekundarschule, daneben die für Gymnasiallehrer – Sie haben also das gegliederte Schulsystem untermauert.

Die Unterzeichnung der Reform war meine erste Amtshandlung, denn die Studienanfänger brauchen jetzt Rechtssicherheit. Zeitgleich arbeiten wir zusammen mit dem Wissenschaftsministerium daran, die Lehrerbildung parallel zur Entwicklung der Gemeinschaftsschule zu modernisieren.

Die ersten Lehrer werden diese Studiengänge aber frühestens in sechs Jahren absolviert haben. Woher bekommen Sie denn in der Zwischenzeit das Personal für die Gemeinschaftsschulen?

Wir haben verdammt gute Lehrer in den Schulen. So kann sich die Integrierte Gesamtschule in Mannheim vor Bewerbungen von Lehrern nicht retten. Ich habe deshalb überhaupt keine Sorge, dass wir engagiertes Personal finden werden. Im Übrigen werden wir auch die Möglichkeiten ausbauen, dass sich Lehrer für die individuelle Förderung im Unterricht fortbilden.

Was möchten Sie in fünf Jahren vorweisen können?

Ich möchte, dass alle Kinder die bestmöglichen Lernmöglichkeiten erhalten und individuell gefördert werden. Deshalb wollen wir die Anträge aller Schulen, die längeres gemeinsames Lernen wollen und die Kriterien erfüllen, genehmigen. Die Ganztagsschulquote wollen wir auf deutlich über 50 Prozent steigern.

Eine Quote für Gemeinschaftsschulen nennen Sie nicht?

Ich will gar nicht erst den Eindruck erwecken, irgendjemand würde gezwungen. Das wird sich entwickeln. In den ländlichen Räumen sowieso, weil die Gemeinschaftsschule die Lösung für kleinere Orte sein wird.

Gibt es dann noch Gymnasien in Baden-Württemberg?

Ja, warum auch nicht? Alles andere würde mich erheblich wundern.