Der pragmatische Schöngeist

Eigentlich baut Thomas Schön Skulpturen aus Wasser. Weil sich aber das flüssige Element nicht formen, sondern nur bändigen lässt, werden seine Skulpturen auch Brunnen genannt. Sie sind dynamisch, organisch und chaotisch – wie Schöns Leben

Erst vor Jahren hat Schön seine Stücke ausgepreist. Man hat es ihm geraten

VON ANJA GIEGER

Einer kann Sterndeuter sein oder Philosoph, er kann Feldjäger sein, Ästhet oder auch Tüftler. So ein Tüftler, wie Thomas Schön einer ist. Der zeigt auf den Schlitz, den er ins Schaufenster seiner Kreuzberger Werkstatt in der Bergmannstraße geritzt hat. Ein Schlitz, so groß, dass man Münzen einwerfen kann. Steckt jemand da tatsächlich Geld durch, setzt sich ein geheimnisvolles Gebilde aus Metall, Holz und Steinen in Gang. Plötzlich verströmen Lampen, die aussehen wie kleine Kraken, ein warmes Licht und eine Blechscheibe beginnt sich zu drehen. Dazu platscht Wasser aus einem verrosteten Soldatenhelm in immer gleichem Rhythmus.

Weil der Schlitz im Schaufenster ist, können sich Passanten zu jeder Tages- und Nachtzeit diesem Spektakel hingeben. Nur so zu ihrer Freude. Vorausgesetzt jedoch, sie schaffen es, bis zum südlichen Zipfel der Kreuzberger Flaniermeile zu gehen – bis dorthin, wo auf der gegenüberliegenden Seite die Friedhöfe sind.

Es sei nicht leicht gewesen, alle Funktionen dieser mechanischen Skulptur aufeinander abzustimmen, erzählt Schön. Besonders der Auslösemechanismus habe ihm Kopfzerbrechen bereitet. „Schließlich soll das Ding ja nicht bei jedem Cent anspringen, nur bei größeren Münzen.“ Von dem Geld, das sich so ansammelt, bezahlt Schön die Stromrechnung.

Der Künstler, der sich vor 14 Jahren unweit des Marheinekeplatzes niedergelassen hat, möchte „Dinge bauen, die man nicht aussprechen kann“. Blütenlampen und gläserne Fackeln hat er gemacht, Metallskulpturen, die sich zackig bewegen, Äste, aus denen Wasser tropft.

Von allen Elementen, die in seinen Arbeiten auftauchen, fasziniert ihn das Wasser am meisten. Deshalb baut er vor allem Brunnen. Bizarre Brunnen, solche, die aussehen wie vergessene Ruinen im Regen. Schön holt kurz Luft und blickt in den Raum: „Ein Brunnen ist eigentlich ein Spiegel. Er spiegelt die Energie, die man ihm gibt“, sagt er.

Wasser ist für ihn das Lebenselixier, der „Spirit“, den wir in uns tragen. „Wir bestehen ja zu 60 Prozent aus Wasser.“ Seine Brunnen sind Miniaturlandschaften, die den Betrachter in Fantasiewelten entführen. Seen, Wasserfälle und verwunschene Grotten gibt es in seinem Atelier. Sie verstecken sich in ausgedienten Betonmischern oder Badeöfen, in Schweinetrögen oder ausgehöhlten Baumstämmen. Die Arrangements sind so detailreich, dass man sich in ihrer Betrachtung verliert. Die Besucher sprechen oft von „Märchenreichen“ oder „Hobbitwelten“ – Vergleiche, die ihr Schöpfer gern annimmt.

Für seine Brunnen verbaut Schön ausschließlich gebrauchte Materialien. Die meisten davon legen ihm die Leute einfach vor die Tür. Mittlerweile hat er einen riesigen Fundus. Neben steinbesetzten Broschen, Treibholz und Bilderrahmen findet sich dort auch weniger Alltägliches, wie eine Abrissbirne oder eine Waschmaschinentrommel. Es seien oft sehr schöne Dinge, denen er einen neuen Wert gibt, sagt er. „Du kannst aus allem etwas machen.“

Zum Brunnenbau ist der 54-jährige Berliner zufällig gekommen. Früher war er bei der Bundeswehr, als Feldwebel bei den Feldjägern. „Ich habe da auch Leute verfolgt und verhaftet“, erinnert er sich. Nach sechseinhalb Jahren ist er ausgestiegen. Mit der Abfindung baute er sich ein neues Leben auf, fern von Uniformen und weg vom Uniformierten. Er hat als Fahrlehrer gearbeitet und Heilpraktiker gelernt, ist jahrelang durch die Welt gezogen. Die USA, Spanien und Griechenland waren einige seiner Stationen. Irgendwann fing er dabei an, kleine Metallskulpturen zu löten.

Im Brunnenatelier plätschert, gurgelt und sprudelt das Wasser. Im Hintergrund läuft klassische Musik. Geschmeidig bewegt sich der grauhaarige Mann durch sein Atelier, das gleichzeitig Werkstatt und Galerie ist.

Eine Katze, die gegen eine Skulptur gelehnt döste, verschwindet hinten im Zimmer. Für einen Moment hält Schön inne und schaut dem Tier nach. „Ein Brunnen ist etwas Lebendes. Der ist ewig neu, weil er immer in Bewegung ist.“ Drehungen und Wirbel halten das Wasser gesund, sagt er. Aber Leitungswasser, das man in Rohre gepresst habe, sei tot, habe keine Lebensenergie mehr. In seinen Brunnen ist das Wasser jedenfalls klar und frisch, in einigen schwimmen Fische. Das Wasser auszutauschen oder die Becken zu reinigen, sei überhaupt nicht notwendig, erklärt er. „Nur manchmal gieße ich ein wenig Wasser nach, um die Verdunstung auszugleichen.“

Trotzdem hat Schön einige Pflegeaufträge für Brunnen, die bei Kunden stehen. Aus einer Wasserskulptur bei Siemens zum Beispiel entfernt er einmal monatlich mit einer Zahnbürste, was da so reinfällt. „Die möchten das halt und zahlen dafür.“ Hauptsächlich von solchen Pflegeaufträgen lebt er. Es sei aber mehr ein Überleben. Dennoch: „Irgendeine andere Arbeit muss ich Gott sei Dank nicht nebenbei machen.“ Für einen Augenblick zieht er die Augenbrauen zusammen und presst die Kiefer aufeinander. Er beginnt sich eine Zigarette zu drehen. Dass jemand einfach so in den Laden komme und einen Brunnen kaufe, sei eben selten.

Vor einigen Jahren hat Schön seine Stücke mit Preisschildern ausgestattet. Dazu ist ihm auf Messen immer wieder geraten worden. Er hat nachgegeben, weil die Leute ständig danach fragten: „Wie teuer ist denn das? Wie lang dauert das, so was zu bauen? Machen Sie das alles selbst?“ Sein pfälzischer Singsang wird lauter und schneller. Er lehnt den Oberkörper leicht vor und lässt die Hände in die Höhe fliegen. Zahlen und Nummern hätten die Leute im Kopf. „Nichts als Zahlen und Nummern.“ Wie es ihm geht, wenn er seine Brunnen baut, habe ihn noch nie ein Besucher gefragt.

Wenn Schön von seiner Kunst spricht, benutzt er oft das Wort „liebevoll“. Er macht dann eine kurze Pause und blickt aufmerksam um sich. Auf seinem Gesicht deutet sich ein Lächeln an. Nur wer liebevoll arbeite, könne den Menschen eine Freude machen, und alles, was liebevoll gemacht wird, sei schön, sagt er. Darin sieht er auch seine Aufgabe als Künstler. „Die Künstler sollen es schön machen. Die Kunst soll gut für den Menschen sein.“ Gelegentlich misslingt ihm dies. Vor allem bei Auftragsarbeiten, für die der Kunde den Preis heruntergehandelt hat. Da fühlt er sich missachtet. „Wenn ich aber nicht wertgeschätzt werde, arbeite ich ohne Freude. Dann kann, was ich mache, schnell schiefgehen.“