Visionär der Zuckerwelt

Uwe Bressem hätte Starkoch werden können. Doch seine Sehnsucht gilt der Kunst. Beim Malen kann er seine explodierende Fantasie bändigen

Bressem zog aus, das Wünschen zu lernen und als Künstler verstanden zu werden

VON Sophie-Charlotte Schippmann

Uwe Bressem denkt sich Wesen aus, die gut im Wunderland vorkommen könnten: Menschenfische im Flug, explodierende Kaleidoskop-Schnecken, in ihren Schatten verliebte Gedankendiebe, berühmte Vögel in Schuhen. Bressem malt seine Wesen. Er malt sie mal rabattmarken- und briefmarkengroß. Dann wieder ziehen sich seine Bilder über Wände. Neuerdings versucht er, sie in Bilderbücher zu packen. Denn Bressem ist Visionär. Er will, dass die Ideen, die in seinem Kopf explodieren, unter die Menschen kommen.

Bressems neueste Kreationen leben in einer Zuckerwelt. Zwischen Kleinsüßen und Großsüßen auf der Schwäbischen Alb, da soll es liegen: sein Fürstentum Saccharose. Es ist die Heimat von Zuckerspringer, Dummschwalle und Pralinenkugler. Auf Bildern und Aquarellen hat er deren unendliche Geschichten gemalt. Allein die Vermarktung sei schwierig, sagt der 48-Jährige und verschwindet, noch ehe er seinen Satz beendet, in seiner Parterrewohnung im Wedding, um mit neuen Werken in den Vorgarten zurückzukehren.

Mal sind es Briefmarken, die er zeigt, denn Bressem findet Mail-Art eine vortreffliche Art, sich der Welt mitzuteilen. Danach holt er Aquarelle hervor, auf denen „100 Jahre krause Gedanken“ abgebildet sind. Dann wieder kommt er mit komplizierten Plänen für Flugapparate, mit denen die Mail-Art transportiert wurde, aus der Wohnung auf die Terrasse. Hinter der Tür muss ein Sesam-öffne-dich sein.

Dabei sieht das Zimmer ganz normal aus. Nur dass darin gewohnt und gemalt wird. Momentan arbeitet Bressem daran, Dynamik darzustellen, erklärt er und deutet auf das verwischte Bild eines Schweins. „Die Motive fallen bei solchen Übungen meistens kitschig aus.“ In der Ecke steht das Bild eines überdimensionalen Teddybären. „Strukturübung“, bemerkt Bressem knapp.

Kunst war schon immer ein großes Thema im Hause Bressem. „Im Grunde genommen ist meine gesamte Familie infiziert.“ Der gebürtige Recklinghauser zeigt auf die Bilder seines Vaters. Landschaften, Blumen, Frauenporträts hat der gemalt. So farbverliebt wie die Arbeiten seines Sohnes sind sie.

Bressem selbst machte nach der Schule erst mal eine Ausbildung zum Koch. „Mir hat der Mut zum Künstler gefehlt.“ Als Koch indes stand ihm eine große Karriere bevor. Er arbeitete in Fünf-Sterne-Hotels, unter anderem in Berlin, Genf und London. Wenn er Zeit hatte, besuchte er dort die Museen. Besonders beeindruckt war er von Arbeiten von Dalí, denn „der konnte am Anfang überhaupt nicht malen“. Es klingt ein wenig, als verschlucke er das Ende des Satzes. Das lautet: „Wie ich.“

Anfang der Neunziger übernahm Bressem die Leitung der Kantine im Rathaus Wedding. Er wollte näher an die Leute ran, an den Alltag, da, wo die Geschichten sind, sagt er. Ein Knochenjob war es, elf Jahre hielt er durch.

Vor fünf Jahren hat er aufgegeben. Er hätte es wohl nicht getan, wenn damals nicht ein betrunkener Gast auf ihn losgegangen wäre. Der würgte den Koch so lange, bis dieser ohnmächtig wurde. Nur zögerlich, die Arme verschränkt, berichtet er davon. „Am nächsten Vormittag stand ich immer noch unter Schock und begann zu überlegen, was mir wirklich wichtig ist.“

Die Antwort ist klar: Bressem will seine überbordende Fantasie in die Welt tragen. Er will Künstler sein. Schon während seiner Kantinenzeit brach diese Sehnsucht immer wieder durch, wenn er seine Speisekarten illustrierte und Rabattmarken entwarf, die man in der Kantine einlösen konnte.

Heute konzentriert er sich ganz auf sein bildnerisches Schaffen. „Klar, jetzt muss ich den Gürtel enger schnallen“, sagt er und gießt noch etwas Kaffee in die beiden Tassen. Als Optimist hofft er trotzdem auf den großen Durchbruch.

Immer wieder betont er, wie lästig die Kommerzialisierung ist. Ganz hilflos bewegt er sich dennoch nicht im Geschäft. „Die Geschichten und Figuren rund um das Fürstentum Saccharose haben Potenzial, das will ich nicht verschwenden“, sagt er, während er sich eine Zigarette dreht. Bevor er sich wirklich an ein großes Werk mit allen Charakteren wagt, veranstaltet er deshalb „ein paar Testläufe“, wie er sagt.

Der Erste trägt den Titel „Das Pralinenkuglergedicht“ und ist ein Bilderbuch. Die Geschichte erzählt von der Selbstfindung einer gesichtslosen Praline und den Abenteuern, die sie auf der Suche nach dem, was sie will, bestehen muss. Die Süßigkeit mit Armen und Beinen findet, ganz wie ihr Erfinder ein paar Jahre zuvor, heraus, dass es sie nicht befriedigt, anderen Gaumenfreuden zu bereiten. Am Ende geht sie mit selbst erschaffenem Gesicht neue Wege.

„Besonders Frauen über 60 und Pädagoginnen im Ruhestand kaufen das Buch“, freut sich der Illustrator. Sie schätzen den philosophischen Anspruch, während die Kleinen die kunterbunten Figuren liebten.

Momentan arbeitet er an einem ähnlichen Format: „Die Dummschwalle lernt fliegen“. Ein Vogel versucht, mit verschiedensten Maschinen abzuheben, um am Ende zu erkennen, dass er ja selbst Flügel hat. Das Fliegen sowie Flugmaschinen aller Art faszinieren Bressem eben. Doch als er vor Kurzem selbst in einem Segelflieger saß, mochte sich das Gefühl der großen Freiheit zu seiner eigenen Überraschung nicht einstellen, erzählt er.

Im Grunde ist es die Geschichte von Bressem selbst, die sich in den Bilderbüchern versteckt. Bressem ist einer, der auszog, das Wünschen zu lernen. Er wünscht sich, als Künstler verstanden zu werden. Und er weiß doch genau: Bis das Fürstentum Saccharose als Gesamtkunstwerk erscheint, ist der Weg noch sehr lang.

Uwe Bressem: „Das Pralinenkuglergedicht“. Puniao Verlag, Berlin 2007, 48 Seiten, 9,90 €