Erinnerungspolitik: Kleine, späte Geste für einen großen Mann

In seinem Institut für Sexualwissenschaft focht er für einen liberalen Umgang mit Nicht-Heterosexuellen - bis die Nazis das Haus am Tiergarten am 6. Mai 1933 plünderten. Heute wird Magnus Hirschfeld eine kleine Straße gewidmet - und eine Ausstellung. Er hätte mehr verdient.

Von Magnus Hirschfelds Institut für Sexualwissenschaft gibt es keine Überreste - Bomben auf Berlin haben dieses an der Spree gelegene Wohnquartier vollständig zerstört. Das Institut lag etwa dort, wo heute das BundeskanzlerInnenamt sowie das Haus der Kulturen der Welt gebaut sind.

Um 13.30 Uhr wird in einer Zeremonie das Spreeufer zwischen Moltke- und Lutherbrücke nach Hirschfeld benannt. Die Initiative zu dieser überfälligen Ehrung hatte der Lesben- und Schwulenverband. "Sex brennt - Magnus Hirschfelds Institut für Sexualwissenschaft und die Bücherverbrennung" ist die Ausstellung betitelt, die am Abend im Medizinhistorischen Museum der Charité (Charitéplatz 1, 10117 Berlin) eröffnet wird. Initiiert wurde sie von der Magnus-Hirschfeld-Gesellschaft. JAF

Immerhin wird heute Abend im Medizinhistorischen Museum der Charité eine Ausstellung zu seinem Gedenken eröffnet. Und immerhin wird ein kleiner Uferstreifen an der Spree zwischen Moltke- und Lutherbrücke nach ihm benannt. Aber: Magnus Hirschfeld, der wichtigste Sexualreformer der Weimarer Republik und des Kaiserreichs, hat mehr als eine begehbare Böschung und eine Würdigung in den historischen Gebäuden des Universitätskrankenhauses verdient. Magnus Hirschfeld - wer?

Der Arzt und Politiker, selbst homosexuell, warb seit Beginn des vorigen Jahrhunderts für ein Ende von Denunziation, Psychiatrisierung und Bloßstellung aller Menschen, die nicht der heterosexuellen Norm entsprachen. Hirschfeld, am 14. Mai 1868 im preußischen Kolberg geboren, gründete schließlich 1919 das Institut für Sexualwissenschaft in Berlin, irgendwo in der Nähe des heutigen Kanzlerinnenamts. Er war Leiter einer Institution, die tausenden von Menschen überhaupt erst ein Forum bot, sich nicht als Heterosexuelle verstehen zu müssen. Schwule, die sich damals noch nicht so nannten, Lesben, Kesse Väter, Tunten, Transvestiten, Hermaphroditen, Junge, Alte, Jungs und Mädchen: Sie fanden dort interessierte Anteilnahme. Hirschfelds Institut, Teil seiner Lobbyorganisation Wissenschaftlich-Humanitäres Komitee, begriff sich selbst als wissenschaftliche Denkfabrik, die es mit den mächtigen Tonangebern der Zeit aufnehmen wollte. Mit den Kirchen, mit den bürgerlichen Klassen, mit einer eher spießigen Linken - sie alle sollten begreifen, dass die sexuell Anderen keine Bestrafung verdienten, sondern, ganz im Sinne bürgerlicher Aufklärung, Anerkennung, mindestens Straffreiheit.

Hirschfeld wie Sigmund Freud, der Vater der Psychoanalyse, waren den Völkischen wie den Klerikalkonservativen die verhasstesten Figuren der demokratischen Moderne. Insofern war es kein Wunder, dass die nationalsozialistischen Jungkader von der Berliner Hochschule für Leibesübungen dieses Institut zuerst in Brand steckten. Heute vor 75 Jahren "zerstörten sie die Einrichtung unter den barbarischen Klängen einer Blaskapelle", wie der Sexualwissenschaftler Martin Dannecker schreibt, "plünderten die Bestände, luden sie auf einen großen Lastwagen und transportieren sie ab". Was sie wegschafften, waren die gesamten archivalischen Bestände des Hauses, die Bibliothek und, wichtiger noch, die Akten der sozialwissenschaftlichen Befragungen, die Hirschfeld und seine Mitarbeiter mit Nichtheterosexuellen anstellten. An diesen Dokumenten lag den Nationalsozialisten besonders: Es galt, das Wissen über die Triebkraft menschlicher Sexualität, über ihre Vielfalt und ihre Liebesmacht zu löschen. Kein untypischer Vorgang in jenen Jahren, als viele an die Planbarkeit von Gesellschaft glaubten. Die Guten ins Töpfchen, die Schlechten ins Kröpfchen.

Hirschfeld selbst hatte eine sehr biologische Vorstellung vom Sexuellen: Homosexualität sei angeboren, aber - das ist die Pointe - deshalb dürfe sie nicht verfolgt werden. Denn was konstitutiv angelegt sei, könne nicht revidiert werden: Ein Mensch, der nicht aus seiner Haut könne, verdiene Respekt, nicht Strafe. Sein Wirken nützte nichts. In Briefen, so der Historiker Andreas Pretzel von der Magnus-Hirschfeld-Gesellschaft, habe der Sexualbürgerrechtler seine Resignation schon drei Jahre vor der nationalsozialistischen Machtübernahme durchblicken lassen. Deutschland sei nicht reif für eine libertäre Gesellschaft. Sein Institut war fürchterlichen Angriffen durch die Klerikalen aller Couleur wie durch die Nationalsozialisten ausgesetzt, Hirschfeld persönlich wurde häufig Opfer von körperlichen Attacken. Er ging schließlich auf Weltreise, von der aus er nicht mehr nach Deutschland zurückkehrte; er starb 1935 an seinem 67. Geburtstag in Nizza an der Côte dAzur.

Bis heute hat Berlin Hirschfeld und sein Wirken historisch ungewürdigt gelassen. Kein Platz, keine Gasse, nicht einmal eine Straße ist nach ihm benannt worden. Das mag auch damit zu tun haben, dass der Paragraf 175, der Homosexualität gänzlich bei Androhung von Gefängnis verbot, bis 1969 galt: Schwules, überhaupt sexuell Anderes unter den Nationalsozialisten unter Todesdrohung stand - und bundesdeutsche Gerichte diese Verfolgung gar für rechtens erklärten. Obskur aber, dass auch im Kanon des antifaschistischen Erinnerungsvermögens Hirschfeld nicht auftaucht. Das Datum der Bücherverbrennung genießt quasi offiziellen Gedenkrang; dass der Hass der Nazis sich zunächst auf die sexualreformerischen Errungenschaften und die Psychoanalyse richtete, ist ausgeblendet - bis heute.

Dass jetzt wenigstens ein Stück Spreeufer nach Hirschfeld benannt wird, ist ein freundliches Zeichen, nicht mehr, nicht weniger. Ungeklärt ist noch, wer einen Neuguss einer Büste Hirschfelds bezahlt - die alte ist von den Nationalsozialisten ins Feuer geworfen worden. Der Lesben- und Schwulenverband Berlin-Brandenburg ruft dringend zu Spenden auf, um dieses Signum setzen zu können.

Die Ausstellung, die in der Charité im Beisein von Klaus Wowereit eröffnet wird, darf allein vom Titel her gepriesen werden. "Sex brennt", lautet er und ist ein realistischer Umriss dessen, was Magnus Hirschfeld immer so begriffen hat: Menschliche Sexualität lässt sich nicht eindämmen, in ihr bleibt aller Verfolgung zum Trotz immer eine Kraft, die nicht erstickt werden kann. Allerdings ist diese Ausstellung offenbar nur ein Kompromiss dessen, was Berlin zu ermöglichen bereit ist. Denn Kurator und Sexualwissenschaftler Rainer Herrn hätte lieber auch noch eine internationale Konferenz zum Erbe Hirschfelds organisiert. Während die Ausstellung aus Mitteln des Klassenlotteriefonds ermöglicht wird, sind die beantragten Gelder aus dem Hauptstadtkulturfonds für die Konferenz nicht bewilligt worden. Gründe der Ablehnung wurden wie üblich nicht genannt.

Der Schriftsteller Erich Kästner schrieb über den Aufmarsch der bücherverbrennenden Horden am 10. Mai 1933, über ihren Köpfen schwanke "der Kopf einer zerschlagenen Büste Magnus Hirschfelds (…) auf einer langen Stange (…) hoch über der stummen Menschenmenge". Es muss den Jungkadern der Bewegung ein Triumph gewesen sein, den "jüdischen Schweinereien" ein Ende bereiten zu können. Ihr Regime wurde 1945 zerschlagen; das Ressentiments gegen Hirschfeld und seine Arbeit scheint zäh am Leben zu bleiben.

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