Reformschulen: Hauptschulen fürchten um ihre Förderprojekte

Viele Hauptschulen haben in langjähriger Arbeit Unterrichtsformen für schwache SchülerInnen entwickelt. Ob diese in den Alltag der Sekundarschulen integriert werden können, ist unklar.

In der lauten Debatte um die Schulstrukturreform wurde bislang fast ausschließlich über die Zukunft der Gymnasien und ihrer Schülerschaft diskutiert. Hauptschulleiter haben ganz andere Sorgen: Sie machen sich Gedanken darüber, wie sie Projekte und Unterrichtsformen künftig erhalten können, die schon jetzt genau denen helfen, deren Bildungschancen die Reform maßgeblich verbessern soll: schwachen, langsamen oder lernunwilligen SchülerInnen.

"Die bisherige Diskussion konzentriert sich auf die Elite", bedauert Detlef Pawollek, Leiter der Kurt-Löwenstein-Hauptschule in Neukölln. "Uns stellt sich die Frage, wie wir künftig den Anforderungen, die an die Sekundarschulen gestellt werden, gerecht werden können." Der Neuköllner Schulleiter hat sich vor zwei Jahren mit Haupt- und Gesamtschulen aus Kreuzberg und Friedrichshain sowie zwei Projekten für "schuldistanzierte Jugendliche" zu einem Netzwerk zusammengetan. Ziel der Zusammenarbeit: der Aufbau einer "Produktionsschule", in die die am Netzwerk beteiligten Bildungseinrichtungen ihre Erfahrungen mit und Kapazitäten für den Umgang mit SchülerInnen einbringen, die in den Unterricht der Regelschulen kaum zu integrieren sind: Schulschwänzer, SchülerInnen mit Lern- oder Verhaltensproblemen und einfach solche, deren Begabungen sich eben nicht im Englisch-, Mathe- oder Chemieunterricht entfalten.

"Diese Schüler haben viele Interessen", sagt der Pädagoge Karl Antony. Der Fachunterricht gehöre aber oft nicht dazu. Antony leitet das Projekt "Arbeiten und Lernen" in Kreuzberg, das auch zum Netzwerk Produktionsschule gehört. Es verhilft SchülerInnen zu Abschlüssen, die mit den Unterrichtsformen an den Regelschulen nicht klargekommen sind. Das funktioniert, indem ihnen über praktische Tätigkeiten das Erlebnis von Erfolg und Wertschätzung ermöglicht wird. Deshalb tischlern Antonys SchülerInnen auch nicht an Werkstücken, die später im Regal verstauben. Sie übernehmen richtige Arbeitsaufträge: So kümmern sich die Jugendlichen etwa um die öffentlichen Grünanlagen auf dem Bethanien-Gelände, haben den Feuerwehrbrunnen auf dem Mariannenplatz saniert und mit SchülerInnen der Carl-Friedrich-Zelter- und der Friedrich-Ludwig-Jahn-Hauptschule den Garten der Kinderbücherei in der Amerika-Gedenkbibliothek nach alten Plänen hergerichtet.

Dass die Jugendlichen für diese Arbeit auch bezahlt werden, ist Teil von Antonys Wertschätzungskonzept. Wichtiger noch ist ihm die Anerkennung, die sie über die "öffentlich sichtbare Arbeit am Gemeinwesen" erringen: "Sie machen dabei eine wichtige persönliche Erfahrung", so Antony. Die laute: "Ich bin nützlich und werde gebraucht." Die Zahl der Jugendlichen, die "Arbeiten und Lernen" in betriebliche Ausbildung vermitteln kann, übersteigt die mancher Hauptschulen. Andere kehren zurück an die Regelschulen, um den mittleren oder sogar höhere Schulabschlüsse zu machen.

Die dem Netzwerk angeschlossenen Schulen profitieren von den Erfahrungen von Projekten wie "Arbeiten und Lernen" oder "Stadt-als-Schule", das ebenfalls dazugehört - und bringen ihre eigenen ein. Die 140 SchülerInnen von "Stadt-als-Schule" verbringen nur zwei Tage pro Woche am Schulstandort. An den anderen heißt es "praktisches Lernen": im besten Fall in echten Betrieben, aber auch in eigenen Projekten. Mit einem individuellen Bildungsplan wird jeder Schüler seinen Möglichkeiten entsprechend gefördert. An Regelschulen wie der Carl-Friedrich-Zelter-Hauptschule werden ähnliche Lernkonzepte bereits in werkpädagogischen Klassen umgesetzt. An der Neuköllner Löwenstein-Schule befindet sich eine solche Klasse im Aufbau.

Den Plan, ihre Zusammenarbeit bis zum Aufbau einer gemeinsamen Produktionsschule auszubauen, geben die am Netzwerk beteiligten Schulleiter angesichts der Schulstrukturreform auf. Sie passt nicht zu deren Grundidee, dass SchülerInnen aller bisherigen Oberschulformen in der Sekundarschule gemeinsam lernen. Ein Schritt, den die Pädagogen im Prinzip begrüßen: "Es war höchste Zeit für eine solche Reform", sagt Guido Landreh, Leiter von "Stadt-als-Schule". Die im Netzwerk versammelten Erfahrungen könnten in die neue Oberschulform Sekundarschule eingebracht werden, für die mit dem "dualen Lernen" auch eine praxisbezogene Unterrichtsform geplant ist.

Ob und wie das geschehen kann, ist allerdings unklar. Denn für viele Schulen des Netzwerks steht nicht einmal die eigene Zukunft fest. Allein Robert Hasse, Leiter der Carl-Friedrich-Zelter-Schule, hat darüber bislang Klarheit: Seine für ihre erfolgreiche Arbeit mehrfach preisgekrönte Schule soll geschlossen werden. Ob das Kollegium dann auf verschiedene Schulen verteilt wird oder die gemeinsame Arbeit an einer Sekundarschule fortsetzen kann, weiß er nicht.

Das Gleiche gilt für "Stadt-als-Schule". Detlef Pawollek aus Neukölln hat noch keinerlei Information darüber, was im Zuge der Schulreform mit seiner Schule geschehen soll. Selbst eine weitere standortübergreifende Zusammenarbeit des erfolgreichen Netzwerkes ist damit in Gefahr, fürchtet Schulleiter Landreh: "Es wäre ein großer Verlust, wenn künftig all diese Erfahrungen verloren gehen." ALKE WIERTH

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.