Grabsteine ausgegraben

JÜDISCHER FRIEDHOF Die Restaurierung der Anlage in der Großen Hamburger Straße in Mitte ist abgeschlossen

In ihrer ganzen Brutalität hatte die Geschichte hier gewütet. Doch viel mehr als ein schlichter Gehweg, der sich durch ein Feld Efeu hindurchschlängelt, und ein symbolischer Gedenkstein für den irgendwo hier bestatteten Philosophen Moses Mendelssohn waren zuletzt nicht zu sehen. Dabei handelt es sich um den Friedhof an der Großen Hamburger Straße in Mitte um den ältesten jüdischen Bestattungsort der Stadt.

Von einst tausenden Grabsteinen sind lediglich 20 übrig geblieben, und selbst die waren seit 1989 auf dem Jüdischen Friedhof in Weißensee ausgelagert. Restauriert wurden die mit eingravierten hebräischen Schriftzeichen versehenen Sandsteinplatten in den letzten Monaten zurück zum ursprünglichen Ort gebracht. Am Donnerstag wurden die Arbeiten abgeschlossen.

Zwar sind die Namen der Toten auf den meisten Steinen noch zu erkennen. Dennoch konnten die ursprünglichen Gräber nicht wiederhergestellt werden. Die Platten stehen nun an einer Friedhofsmauer. „Der Schaden durch die Nazis war fundamental“, erklärte Lala Süsskind, Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde zu Berlin, bei der Freigabe am Donnerstag. 1942 hatte die Gestapo den Friedhof fast komplett verwüstet.

Die letzte Bestattung an der Großen Hamburger Straße hatte 1827 stattgefunden. Danach nutzten die Bewohner des benachbarten jüdischen Altenheims die Grabanlage offenbar zur Erholung. 1942 dann die Schändung des Ortes: Das Altenheim funktionierten die Nazis zu einem Zwischenlager für Deportationen um. Den Friedhof verwüstete die Gestapo und nutzte die Grabsteine an anderen Orten für Verteidigungsbauten. In den letzten Tagen des Krieges folgte die endgültige Entweihung der Anlage: in einem Massengrab wurden nicht nur zivile Opfer, sondern vor allem Wehrmachts- und SS-Soldaten verbuddelt.

Durch die Verlegung der 20 Grabplatten wird die Geschichte des Friedhofs wieder etwas greifbarer. Wie die Ruhestätte vor ihrer Schändung gewirkt hat, bleibt immerhin in den Erinnerungen von Chronisten verewigt. „Ernst und düster blicken tausende von Leichensteinen aus dem grünen Rasen hervor. Einfache, graue, oben abgerundete Steine“, beschrieb ein evangelischer Theologe im Jahr 1865 die jüdischer Tradition entsprechend eher schlichte Grabanlage.

Zudem fiel ihm auf, was heute noch gilt: Dieser Ort ist eine „Insel im weiten Meere der pulsierenden Stadt“. Bernd Skischally