„Hier sind die Leute gemischter als in Paris“

MEDIEN Beim deutsch-französischen Montagsmagazin „ParisBerlin“ geht es nicht darum, die beiden Länder einander näherzubringen, sagt Chefredakteur Karl Falcon. Aber immer mehr Franzosen interessierten sich für Berlin – auch dank der reisefreudigen Jugend

■ 40, hat Journalismus in Lille studiert und leitet seit anderthalb Jahren die Pariser Redaktion von ParisBerlin.

?taz: Her Falcon, wie kommt es, dass Sie heute an der Spitze des Magazins ParisBerlin sitzen?

Karl Falcon: Ich habe meine journalistische Ausbildung in der École Supérieure de Journalisme absolviert und danach einige Jahre Firmenzeitungen geleitet. Schließlich bin ich Verlagsdirektor von der Gruppe Allcontents und schließlich Chefredakteur der ParisBerlin geworden.

Sie haben also gar keinen besonderen Bezug zu Deutschland?

Ich habe Deutsch zwar neun Jahre studiert und auch einen Teil meiner Familie in Österreich, aber als Schüler und Student habe ich mich mehr für die US-Kultur interessiert und meinen Blick nach London gerichtet. Leider! Heute entdecke ich wieder das Vergnügen, mit Deutschen zu arbeiten, und bedauere, dass ich früher mein Deutsch nicht besser geübt habe.

Wie kann man in einem einzigen Magazin über zwei Länder und für zwei Leserschaften berichten?

Wir gehen davon aus, dass unsere Leserschaft sowohl mit Deutschland als auch mit Frankreich vertraut ist. Die Leser kennen vielleicht nicht alle politischen Zusammenhänge oder kulturellen Feinheiten der beiden Länder, aber sie sind im persönlichen Leben oder durch ihre Arbeit mit dem Nachbarland verbunden. Deshalb versuchen wir auch, möglichst immer zwei Sichtweisen zu einem Thema zu haben.

Sie übersetzen die Texte aber nur selten in die jeweils andere Sprache. Welcher Logik folgen Sie da?

Zu einem Thema gibt es immer einen Haupttext. Dazu stellen wir meistens eine Analyse, eine Ergänzung oder ein Interview in der anderen Sprache. Deshalb unterscheiden wir uns auch von einem zweisprachigen Magazin wie Vocable, wo alle Artikel in beiden Sprachen veröffentlicht werden. Wir bieten dem zweisprachigen Leser einen kompletten Inhalt und vermeiden so die Wiederholung.

Wie gehen Sie in der Arbeit konkret vor, um dem Leser eine doppelte Sicht der Ereignisse anzubieten?

Die Zeitung verfügt über eine Redaktion in Berlin und eine in Paris. Außerdem arbeiten wir öfter mit freien Korrespondenten, die in den deutschen Großstädten leben. Wir versuchen, zu einem Thema zwei verschiedene Standpunkte zu haben. So setzen sich meistens deutsche in Paris lebende Journalisten mit einem französischen Thema auseinander und andersrum. Ihr Standpunkt ist dann jeweils distanzierter und kritischer.

Trotz des Titels beschränkt sich das Magazin ParisBerlin also nicht nur auf die beiden Hauptstädte?

Das ist für die Franzosen selbstverständlich. Auch wenn nur Paris im Titel steht, fühlen sich auch Leser von außerhalb angesprochen. In Deutschland hingegen ist man mit dem Föderalismus konfrontiert. Da fällt es schwer, Stuttgarter oder Hamburger Leser mit diesem Titel anzuziehen. Vielleicht verkaufen wir deshalb nur ein Drittel unserer Zeitschriften in Deutschland, zwei Drittel hingegen in Frankreich. Wir haben auch schon überlegt, ParisBerlin umzubenennen. Vor allem auch deswegen, weil wir uns zunehmend auch mit europäischen Themen befassen.

Von deutsch-französischen Themen kommen Sie sozusagen zu europäischen Zusammenhängen?

Wir meinen, dass unsere zweisprachige Leserschaft sich auch für Europa interessiert, und erweitern nach und nach unsere Schwerpunkte. Vor allem für die jüngere Generation, die ich gerne „Erasmus-Generation“ nenne, müssen wir uns auch um gesellschaftliche Probleme in ganz Europa kümmern. Dieser Generation ist es zu verdanken, dass Deutschland bei den Franzosen seit einigen Jahren beliebter ist.

Das Erasmus-Programm der Europäischen Union als Gelegenheit für Studierende anderer Länder, Berlin zu entdecken?

„Wenn die Franzosen die Deutschen besser kennen, verschwinden ihre Vorurteile“

Ja, genau! Dieses Studienaustauschprogramm erlaubt es den jungen Leuten, mehrere europäische Hauptstädte zu entdecken, und so machen die Franzosen auch die Erfahrung, dass es sich in Berlin sehr gut leben lässt. Wenn die Franzosen die Deutschen besser kennenlernen, verschwinden auch ihre Vorurteile.

Wie erklären Sie sich, dass Berlin bei den Franzosen im Moment so viel Erfolg hat? Man hört hier immer mehr Menschen französisch sprechen.

Die Stadt wird in Frankreich als eine Art kultureller Ameisenhaufen wahrgenommen, wo die Leute viel gemischter sind als in Paris und wo auch ständig viel passiert. Außerdem ist Berlin verlockend, weil die Stadt ihnen einen relativ billigen Lebensstil bietet, der in Paris so nicht mehr zu finden ist und auch in London schon lange undenkbar ist.

Wollen Sie mit Ihrer Zeitschrift die beiden Nationen einander näherbringen?

Das sehen wir nicht als unsere Aufgabe! Die Annäherungs- und Versöhnungsphase zwischen Frankreich und Deutschland ist Gott sei Dank schon längst vorbei. Aber die deutsch-französischen Beziehungen befinden sich in einer Lethargie, und wir wollen dazu beitragen, diese wiederzubeleben. Das ist wie bei einem alten Paar, das vieles zusammen erlebt und verkraftet hat. Da muss auch wieder etwas Neues erfunden werden. Nach dem Motto: Nun verstehen wir einander bestens, aber was machen wir morgen zusammen?