Der Wächter der Vereinskartei

ARBEIT II Andreas Seidler ist einer von fünf ehemals Langzeitarbeitslosen, die beim Sportverein SV Empor Berlin Kinder für den Vereinssport begeistern sollen. Doch in wenigen Monaten läuft die Stelle aus

„Diese Arbeit macht mir nicht nur Spaß, sondern hat Sinn“

ANDREAS SEIDLER, MITGLIEDERBETREUER

Eigentlich müsste Andreas Seidler auf einer Schreibmaschine arbeiten. Diese veraltete Technik würde gut passen zur Einrichtung seines schäbigen Büros im Verwaltungsgebäude des Jahn-Sportparks in Prenzlauer Berg. Aber Seidler hat einen neuen Computer, auf dem er sich gerade durch Excellisten klickt. „Von allen Mitgliedern, die rot markiert sind, fehlt ein aktueller Nachweis, dass sie Arbeitslosengeld II beziehen“, erklärt er. „Das ist Voraussetzung dafür, dass sie vom Beitrag befreit werden.“

Seit Februar 2009 ist Seidler für die Mitgliederbetreuung des SV Empor Berlin zuständig. Für den 47-Jährigen ist das ein Vollzeitjob – sein erster seit zwölf Jahren. Das Gehalt zahlt nicht der Sportverein, sondern die öffentliche Hand: Seidler ist einer von 7.500 Berlinern, die vom öffentlichen Beschäftigungssektor profitieren (siehe Kasten).

Fünf dieser Stellen wurden beim SV Empor eingerichtet. Der Verein bietet in Kitas und Schulen Sportkurse an, um den Kindern eine sinnvolle Freizeitgestaltung zu ermöglichen und sie für regelmäßigen Sport im Verein zu gewinnen. Zudem gibt es Gewaltprävention und Antiaggressionstraining. Während seine vier Kollegen regelmäßig mit den Trainern des SV Empor in den Sporthallen Pankower Schulen unterwegs sind, ist Seidler meist mit Büroarbeit beschäftigt.

Sport für sozial Schwache

Die Betreuung der 1.500 Vereinsmitglieder ist seine Hauptaufgabe. Das klingt eigentlich mehr nach alten Herren, Sportabzeichen und Doppelkorn als nach Gemeinwohl. Doch Seidler sorgt dafür, dass auch die Kinder aus sozial schwächeren Familien ihre Nachmittage beim Fußballtraining statt auf der Straße verbringen können. Denn wer nachweisen kann, dass die Familie von Arbeitslosengeld I oder II lebt, wird von der Beitragspflicht befreit. „Wenn ich den Eltern das nicht sage, macht es keiner“, meint Seidler. Der Mitgliedsbeitrag von 15 Euro pro Monat sei für viele schon ein Grund, das Kind nicht in einem Verein anzumelden. „Ich kümmere mich, fordere die entsprechenden Belege an und leite sie weiter.“ Jedes zehnte Vereinsmitglied profitiere von dieser Regelung.

Aufgewachsen ist Seidler in Prenzlauer Berg, Danziger Straße Ecke Schönhauer Allee. Als Kind hat er selbst beim SV Empor Fußball gespielt. Nach einem doppelten Bandscheibenvorfall vor 12 Jahren durfte er aber keinen Sport mehr machen; seitdem ist der gelernte Maurer arbeitsunfähig. „Ich habe eine Umschulung zum Industriekaufmann gemacht, doch gearbeitet habe ich in dem Beruf nie“, sagt er.

Seit dem Jahr 2000 ist Seidler auf Arbeitssuche. Der dreifache Vater erinnert sich nicht mehr genau, wie viele Bewerbungen er geschrieben noch, wie viele Maßnahmen des Arbeitsamtes er durchlaufen hat. „Ich habe in den letzten Jahren alle Buchführungsprogramme gelernt, die auf dem Markt sind“, meint er. Warum er trotzdem nie einen festen Job fand, kann er sich nicht erklären. „Diese Absagen sind ja immer so förmlich.“

Seidler ist nicht besonders groß, trägt eine Jeans und ein blaues T-Shirt. Auf seinen rechten Unterarm ist ein R tätowiert. Den Beruf des Maurers würden man ihm mit seinen trainierten Armen immer noch abnehmen. Stattdessen erzählt er von seinem Bandscheibenvorfall im Halsbereich. Operiert worden sei er damals nicht, weil der Arzt es als zu gefährlich erachtet habe. „Er meinte, wir warten ab, bis sich die ersten Lähmungserscheinungen zeigen, dann sei es eh egal.“

Berufserfahrung sammeln

Nicht länger als eine Stunde sitzen soll er – keine gute Voraussetzung für einen Industriekaufmann. „Zum Glück ist meine aktuelle Arbeit so abwechslungsreich, dass ich immer wieder aufstehen und herumlaufen kann“, meint Seidler. Neben der Verwaltung der Mitglieder ist er für die Organisation von Sportfesten an Schulen zuständig und hilft auch immer mal wieder beim Training aus. „Ich bin zwar gesundheitlich eingeschränkt und habe auch keine Trainerlizenz, aber wenn man mit 20 Kindern auf dem Sportplatz ist, braucht man auch jemanden, der sich kümmert, die Kinder in den Schatten holt und aufpasst, dass nichts passiert.“

Die meiste Zeit verbringt er jedoch im Büro an seinem Schreibtisch aus Pressspan. Als er die Arbeit beim Verein aufnahm, hat er erstmal die lose Zettelsammlung katalogisiert, die bis dahin die Mitgliederverwaltung war. 30 Aktenordner stehen neben ihm im Regal, in denen er die Papiere ordentlich in Klarsichthüllen einsortiert hat. Nach einem eigenen System hat er das Ganze zudem digitalisiert und in Excellisten eingepflegt, wobei ihm die Computerkenntnisse aus den zahlreichen Kursen des Arbeitsamtes geholfen haben. „Hier konnte ich endlich wieder Berufserfahrung sammeln und mal ein bisschen mehr tun als ein paar Blätter hin und her tragen“, meint Seidler.

Im Januar 2011 ist es damit jedoch vorbei, dann laufen sein Vertrag und der seiner vier Kollegen aus. Auch das Engagement des SV Empor an den Schulen muss dann wieder zurückgefahren werden. „Als wir angefangen haben, hieß es, das Programm solle verlängert werden. Mittlerweile ist davon keine Rede mehr“, sagt Seidler.

Natürlich schreibe er längst wieder Bewerbungen, aber groß sei seine Hoffnung auf einen neuen Job nicht. „Am liebsten würde ich einfach weitermachen, denn diese Arbeit macht mir nicht nur Spaß, sondern hat auch Sinn.“ JULIANE WIEDEMEIER