Patenmodell der Diakonie: Ein Schubs auf die Karriereleiter

Der eine hat ein erfolgreiches Arbeitsleben hinter sich, dem anderen will der Jobeinstieg nicht recht gelingen.

In einem schmucklosen Büro am Stadtrand verbringt Joachim Gaissert seinen Nachmittag. Gaissert, 63, graues Haar, wache Augen, ist Ingenieur und seit ein paar Jahren in Frührente, er hat ein Arbeitsleben voller 12-Stunden-Tage hinter sich. "Aber nur Reisen und Spaß haben war mir zu wenig." So studierte der gebürtige Schwabe mit Mitte 50 Philosophie, hielt prompt auch Vorlesungen und engagiert sich gemeinnützig. "Für Leute, bei denen ich spüre: Die wollen."

Rayk Haucke ist so einer. Ein wenig steif reicht der 35-jährige Jurist die Hand. Im Gespräch sucht er das Gesicht des Gegenübers, wie es Menschen tun, die früher sehen konnten. In seine Bewerbungen schrieb Haucke bis vor kurzem: "Im Übrigen ist für meine Person noch anzumerken, dass ich seit meinem 16. Lebensjahr blind bin." Damals, als Teenager, lebte er in Thüringen. Um auf einer Spezialschule das Abitur zu machen, zog Haucke nach Berlin. Als Leichtathlet brachte er es, quasi nebenbei, bis zu den Paralympics. Es folgte das Jurastudium in Potsdam.

"Kein großes Problem", sagt Haucke. An der Uni habe er viel Unterstützung bekommen. Auch das Wagnis eines Auslandsaufenthalts nahm er auf sich und arbeitete in Neuseeland für einen Richter. Seit Mitte letzten Jahres ist Haucke nun in Deutschland "reif für den Arbeitsmarkt". Doch auf die vielen Bewerbungen folgten nur Absagen, manchmal nicht einmal die. Deshalb ließ sich Haucke in die Datenbank des Patenmodells der Diakonie eintragen und lernte so Joachim Gaissert kennen.

Seit 1998 bringt das Patenmodell Führungskräfte und Arbeitssuchende zusammen, um Letzteren die Suche nach einem "nachhaltigen Arbeitsplatz" auf dem ersten Arbeitsmarkt zu erleichtern. In Berlin stehen aktuell über 100 Bewerber in der Datenbank. "Und täglich kommen zwei dazu", sagt Projektassistentin Ilona Amiri. Es melden sich Menschen, die seit Jahren arbeitslos sind oder wegen einer Behinderung immer wieder mit ihren Bewerbungen scheitern. "Ein Job ist natürlich das Ziel", sagt Amiri, "aber vor allem geht es darum, den Mut nicht zu verlieren."

Dafür sollen die Paten sorgen, jenseits von behördlich verordneten Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen. Im Moment sind es 30 Männer und Frauen, die in leitenden Positionen tätig waren oder sind und ihre Erfahrungen in das Coaching der Arbeitssuchenden einfließen lassen. Die Paten werden geschult und tauschen sich untereinander aus. Bei besonders schwierigen Fällen helfen Supervisoren. Geld bekommen die Paten nicht.

"Das ist auch gut so", meint Gaissert. Er könnte zwar seine Erfahrung auch als bezahlter Coach zur Verfügung stellen. "Aber damit erreiche ich doch Menschen wie Herrn Haucke nicht", sagt Gaissert, der von seiner Rente gut leben kann.

30 Lebensjahre trennen sie: Gaissert, der seine Karriere hinter sich hat. Und Haucke, dem der Einstieg nicht gelingen will. "Dabei hat er so viel Power, im Sport wie im Studium. Wenn er etwas will, erreicht er es trotz aller Hindernisse. Für Arbeitgeber ein großer Wert", findet Gaissert.

Weil Haucke diesen Wert aber nicht "verkauft", haben sich die beiden seine Bewerbungen vorgenommen. Warum die Behinderung in einem sperrigen Satz verstecken, wenn sie doch auch für Charakterstärke stehe? Die langen Gespräche mit dem einstigen Manager hätten ihm geholfen, sich "bewusst zu werden, was ich wirklich möchte und kann", berichtet Haucke. Als Jurist will er nicht arbeiten, er sucht eher einen Job als Berater bei einer gemeinnützigen Organisation.

Regelmäßig treffen sich Haucke und sein Pate im Steglitzer Haus der Diakonie, um die aktuellen Bewerbungen zu besprechen. "Früher hatte ich gar keine Erfahrungen mit Behinderungen, aber inzwischen ist der Umgang ganz ungezwungen", sagt Gaissert. Die Arbeitgeber scheinen noch nicht so weit: Trotz Coaching hat bisher keine Bemühung gefruchtet. "Da wird es manchmal schwer, sich aufzuraffen", sagt Haucke. "Gut, dass es dann Herrn Gaissert gibt, der mir auf die Füße tritt."

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