OFF-KINO
: Filme aus dem Archiv – frisch gesichtet

Eine der interessantesten Dokumentationen der letzten Berlinale zeigte der chinesische Regisseur Cong Feng mit „Doctor Ma’s Country Clinic“: Dreieinhalb Stunden beobachtet Cong unkommentiert das Geschehen in der im Nordwesten Chinas in der kleinen Stadt Huangyangchuan gelegenen Praxis von Doktor Ma. Doch man merkt schnell, dass es in dem Film nicht wirklich um Medizin geht: Die Doku über den Doktor ist eher ein Vorwand für eine sozialkritische Betrachtung der Lebensumstände seiner Patienten. Für jene ist die kleine Arztpraxis nämlich ein Anlaufpunkt, wo sie sich ungeniert über alle Belange ihres Daseins austauschen. Und ihr Leben ist hart, die Geschichten ähneln sich: Längst kann niemand mehr seinen Lebensunterhalt allein mit dem Bestellen der Felder bestreiten, die meisten Bewohner müssen als Tagelöhner irgendwo in einer größeren Stadt arbeiten – und kommen doch oft ohne Lohn nach Hause, weil sie von korrupten Bossen um den Verdienst geprellt wurden. Wirtschaftsboom und Turbokapitalismus sind bei diesen Menschen in der Provinz nur insofern angekommen, als sie eindeutig aufseiten der Verlierer stehen.(1.–3. 5. im Arsenal 1)

Dieses Mädchen werde den Busen noch völlig aus der Mode bringen, hat Billy Wilder einmal über Audrey Hepburn bemerkt, die am 4. Mai 80 Jahre alt geworden wäre. Mit ihrem Ballerina-Körper und den großen Augen war Hepburn die Verkörperung der Kindfrau der 50er-Jahre. Als solche verhieß sie nicht unbedingt wilde Erotik, sondern eher zarte Romantik, zu der sich später noch Sophistication und aparter Chic gesellten. Im Lichtblick huldigt man der Schauspielerin mit drei Filmen, die es nicht ganz so häufig im Kino zu sehen gibt: Billy Wilders Komödie „Ariane – Liebe am Nachmittag“ (1957) präsentiert noch die Kindfrau, die einem alternden Playboy (Gary Cooper) das erfahrene Mädchen vorgaukelt; in John Hustons Edelwestern „Denen man nicht vergibt“ (1960) ist sie eher untypisch als Indianerin zu sehen, und William Wylers „Infam“ (1961), die Verfilmung eines Bühnenstücks von Lillian Hellman, zeigt Hepburn und Shirley McLaine als Lehrerinnen, deren Leben durch den Verdacht, sie unterhielten eine lesbische Beziehung, ruiniert wird. Eine gute Gelegenheit also, einmal etwas anderes anzusehen als immer nur „Frühstück bei Tiffany“. (Ariane“, „Infam“ 4.–6. 5., „Denen man nicht vergibt“ 4. 5. im Lichtblick)

Mitte April verstarb im Alter von knapp 57 Jahren die Pornodarstellerin Marilyn Chambers, deren Reputation im Mainstreamkino durch ihre Rolle in David Cronenbergs Horrorfilm „Rabid“ (1976) gesichert ist, in dem sie nach einer missglückten Gewebetransplantation plötzlich mit einem blutsaugenden Stachel unter der Achselhöhle ausgestattet ist. Ihre Opfer infiziert sie alsbald mit Tollwut und verwandelt das biedere Montreal in eine Vorhölle. In einer kleinen Hommage ebenfalls zu sehen ist ihre wohl bekannteste Pornoproduktion „Behind the Green Door“ (1972), die im Vergleich zu heutigen Fleischbeschauprodukten wie ein Experimentalfilm anmutet. (4. 5. im White Trash) LARS PENNING