Emotion ohne Bohrtiefe

Politik im Fernsehen muss in den letzten Wochen immer wieder dem Fußball weichen. Das Tragische daran ist, dass das beim gegenwärtigen Zustand der politischen Talkshow gar nicht mal tragisch ist

VON ANIA MAURUSCHAT

Seit zwei Wochen amüsieren wir uns mal wieder zu Tode. Rund um die Uhr auf allen Programmen: Fußball oder Unterhaltung. Politik im Fernsehen – war da mal was? Maybrit Illners „Berlin Mitte“ im ZDF wird dank Fußball schon mal weit nach 0.00 Uhr gesendet. Und Sabine Christiansens politischer Salon im Ersten fiel die letzten beiden Male gleich ganz aus. Stattdessen überbieten sich Delling und Netzer (ARD) und Poschmann und Beckenbauer (ZDF) im Absondern von Fußballweisheiten.

Amüsieren wir uns also wirklich zu Tode? Ist das „Nullmedium“ Fernsehen (Enzensberger) nun ein für alle Mal zu sich selbst gekommen? In dieses Szenario fügen sich die Bedenken von Kulturstaatsministerin Christina Weiss und die ewig wiederkehrende Debatte um die „politische Talkshow“. Weiss nämlich hatte erst vor zwei Wochen – pünktlich zum EM-Anpfiff – mehr politische Diskussion im TV gefordert. Schließlich sei die politische Diskussion ein wichtiger Bestandteil unserer Demokratie, das Medium Fernsehen aber zwinge Politiker zu oft dazu komplizierte Sachverhalte in knappe Statements zu packen.

Was Christina Weiss offenbar verdrängt: Was im Privatfunk – und immer stärker auch bei den Öffentlich-Rechtlichen – zählt, ist die Quote. Entsprechend kann politische Diskussion im Privatfernsehen wohl nur auf den Sat.1-Vorzeige-„Journalisten“ Ulrich Meyer („Akte“) hinauslaufen. Kürzlich bekannte er im Tagesspiegel: „Ich möchte noch einmal talken“ – und zwar in einer von ihm konzipierten Polit-Talkshow, die den „Talk am Abend neu erfinden“ würde. Im Gegensatz zu Christiansen, Illner und Co., deren Zielgruppe bei 40 Jahren anfange, wolle er auch die Werberelevanten ab 19 Jahren erreichen – und denen könne man doch nicht mit einem „spannenden Thema“ kommen und das über drei Werbeblöcke „hieven“.

Im Seichten fischen

Mehr als knappe Statements werden da kaum möglich sein – so wie in fast jede Talkshow. Dass dieses Format so schwer im Trend der Nullerjahre liegt – bei den Privaten wie bei den Öffentlich-Rechtlichen –, liegt laut Medienunternehmer Friedrich Küppersbusch denn auch nicht daran, dass Talkshows am besten zur politischen Willensbildung der Zuschauer beitragen würden. Talkshows sind „in“, weil sie so schön billig zu produzieren sind. Setzt man sich dabei auch noch ein Publikum ins Studio, das mit Klatschen oder Buhrufen für Stimmung sorgt, hat man den perfekten „Resonanzboden“, auf dem die Talkshowgäste ihr „Festival der Rampensäue“ (Küppersbusch) abziehen können.

Politische Diskussion der unterschiedlichen gesellschaftlichen Interessengruppen, die in die Tiefe gehen, sind selten. Eine Sendung, die das noch schafft, ist Frank Plasbergs „Hart aber fair“ im WDR. Ob Reformstau, Alternativmedizin oder das Methusalemkomplott: Jede Woche nimmt Plasberg seine fünf Gäste 90 Minuten lang ohne Werbeunterbrechung zu einem gesellschaftlichen Reizthema in die Mangel. Wer sich dabei die Fakten zurechtschwindelt, wird je nach Bedarf mit journalistischen Zuspielfilmen konfrontiert, die seine Behauptung widerlegen oder Zusammenhänge erklären. Außerdem im Studio: Ein Gast, der als Ich-AG-Gründer oder kopftuchtragende Muslimin von dem jeweiligen Thema konkret betroffen ist. „Emotionen und Bohrtiefe“ nennt Plasberg seine Zauberformel. Obwohl der Sendeplatz mittwochs um 20.15 Uhr im Dritten nicht sonderlich dankbar ist, wächst das Publikum stetig – sogar bundesweit.

Und das liegt sicher auch am Umgang von „Hart aber fair“ mit dem Internet: Über die Homepage können die Zuschauer der Redaktion Themen vorschlagen, in einem leicht zugänglichen Forum miteinander weiterdiskutieren und per E-Mail und Telefon sogar während der Sendungen Fragen an die Gäste stellen. Da stürzt während der Sendung vor Andrang schon mal der Server ab. Und wenn ein Gast dem Moderator immer wieder ausweicht, dann haken die Zuschauer halt nach, bis die Antwort kommt.

Beim WDR hat man also schon mal erkannt, dass das Fernsehen längst nicht mehr das so genannte Leitmedium der Gesellschaft ist – sondern Tagesbegleitmedium. Und das funktioniert in einer Netzwerkgesellschaft anders als vor 20 Jahren. Zum Trost: Wo das Fernsehen nur ein Tagesbegleitmedium neben anderen ist, amüsiert man sich auch nicht mehr zu Tode.