Teure Abzocke

CALL-TV Endlich verhängen Medienwächter Bußgelder über Anrufsender. Marktführer 9live kommt vorerst ungeschoren davon

VON STEFFEN GRIMBERG

Das Spiel „Frauennamen mit genau vier Buchstaben“ läuft noch 7 Minuten und 33 Sekunden, und 9live-Moderatorin Tina Kaiser verspricht einen Mindestgewinn von 700 Euro. Und es ist so leicht! Doch der „Hot Button“, an dem ein sogenannter Redakteur entscheidet, wer in die Sendung durchgestellt wird, ist unerbittlich: „Wir haben ein tolles Angebot für Sie, auch wenn Sie der Hot Button dieses Mal nicht ausgewählt hat“, schmeichelt die Maschinenstimme und faselt irgendwas von Gratisurlaub im Luxushotel. Für die Anrufsender ist das die konsequente Umsetzung der seit Frühjahr geltenden verschärften Spielregeln für dämliche Gewinnspielchen zu 50 Cent pro Anruf, beim Anrufer hält sich dagegen hartnäckig die Meinung, dass hier die Abzocke in der Abzocke perfektioniert wird.

Doch die Luft für Frau Kaiser & Co. wird dünner: Zwar wartet sie bei Minute 4:44 immer noch auf die nächsten Anrufe und garantiert erneut treuherzig, es müsse nun doch wirklich noch zwanzigmal bimmeln. Aber da hatten die Privatfunkmedienwächter schon ihre ersten deftigen Bußgelder nach der neuen Gewinnspielsatzung der Landesmedienanstalten verhängt. Sat.1 muss wegen Verstößen in seiner „Quiz Night“ insgesamt 40.000 Euro bezahlen, das Vierte („Spielmitmir“, „Cashquizz“) ist mit 12.000 Euro dabei, so die Bescheide der Kommission für Zulassung und Aufsicht der Landesmedienanstalten (ZAK). Dass Marktführer 9live bislang ungeschoren davonkommt, ist ein kleiner Schönheitsfehler. Doch die Bayerische Landesmedienanstalt (BLM) leitete wegen der jüngst festgestellten Verstöße von 9live sieben Ordnungswidrigkeitsverfahren ein. Und die ZAK erklärte, am Ende würden „ebenfalls Geldbußen stehen“.

Drei Stunden pro Frage

„Die Landesmedienanstalten machen ihre Ankündigung wahr, die Regelungen der Gewinnspielsatzung konsequent anzuwenden“, lobt sich die ZAK selbst. Es sei „nicht hinnehmbar, wenn Verbraucher und Nutzer im Rahmen von Gewinnspielsendungen getäuscht und an der Nase herumgeführt werden“, so ZAK-Chef Thomas Langheinrich.

Trotzdem dürfen die Einzelspiele pro Rätselfrage immer noch bis zu drei (!) Stunden dauern, und nur „mindestens alle 30 Minuten muss ein Anrufer durchgestellt werden“, heißt es in der gegen den erbitterten Widerstand der Call-TV-Anbieter, aber auch mancher mit diesen befreundeter Medienwächter nach über zweijähriger Debatte verfügten neuen Satzung. „Die Sendungen müssen nach klaren, für die Nutzer nachvollziehbaren und verständlichen Regeln ablaufen. Irreführung ist untersagt“, heißt es weiter. Da ist es natürlich völlig okay, wenn Frau Kaiser bei einem Countdownstand von unter zwei Minuten weiter ihre 20 garantierten Anrufer anpreist, um dann bei exakt 41 verbleibenden Sekunden plötzlich das Spiel auf „Tiernamen mit genau vier Buchstaben“ zu ändern – und den Gewinn von 700 auf 50 Euro. Plötzlich kommen die Menschen im Sekundentakt durch – kostet den Sender ja auch kaum noch was.

Wiederholte Verstöße

„Besonders ärgerlich ist, dass einige Sender Wiederholungstäter sind und trotz intensiver Gespräche in der Vergangenheit nach wie vor die gleichen Verstöße begehen“, sagt der ZAK-Beauftragte für Programm und Werbung, der nordrhein-westfälische Medienwächter Norbert Schneider. Namen nennt die ZAK nicht, doch weil Schneider gleich im nächsten Satz „vor allem die Sender der RTL-Familie“ lobte, die zeigten, „dass sie die Vorgaben der Gewinnspielsatzung ernst nehmen“, ist völlig klar, wen er meint: die finanziell schwer angeschlagene ProSiebenSat.1-Sendergruppe und 9live. Vor allem seinetwegen hatten die Landesmedienanstalten bis Anfang 2009 heftig über eine härtere Gangart gegen die Gewinnspielprogramme gestritten. Vor allem die BLM versuchte dabei, aus handfesten Standortinteressen zu großen Schaden von 9live abzuwenden. Der Sender sitzt in München und galt bis 2008 als einer der profitabelsten Kanäle der Republik. Seitdem brechen die Einnahmen ein.

Warum sich dieser vollelektronische TV-Daddelkasten überhaupt TV-Sender schimpfen darf, bleibt indes ein Rätsel. 9live funkt offiziell immer noch auf der von der BLM für ein frauenorientiertes Spartenprogramm namens tm3 erteilten Lizenz. Das ist mindestens ein ebenso großer Skandal, wie es die freundlich-fiesen Tricks von Tina Kaiser und ihren FreundInnen sind.