Denkmalschutz für 70er Jahre

Die Fassade des Radisson-Hotels soll ihr Aussehen behalten. Weil die erste Sanierung ansteht, stellt sich für viele Häuser aus der Flower-Power-Zeit jetzt die Frage: renovieren oder abreißen?

VON GERNOT KNÖDLER

Das Aussehen des Radisson-Hotels am Dammtor-Bahnhof bleibt erhalten. Darauf hat sich das Denkmalschutzamt mit den Eigentümern geeinigt. Mehr noch: Das Ende der 60er / Anfang der 70er Jahre erbaute Hotel-Hochhaus mit Kongress-Zentrum soll unter Schutz gestellt werden. „Das Verfahren läuft“, sagt Frank Pieter Hesse, der Leiter des Denkmalschutzamtes.

Die Bauten der späten 60er und insbesondere der 70er Jahre genießen einen denkbar schlechten Ruf. Für die großen Gebäudekomplexe wurden bisweilen halbe Stadtquartiere abgerissen. Der Sichtbeton und die ausladende Gestik dieser Bauten tendieren dazu, ihre Umgebung zu erschlagen, wie es beim ehemaligen Altonaer Einkaufszentrum „Frappant“ zu besichtigen ist. Riesige, monotone Fassaden vermitteln dem Passanten ein Gefühl der Verlorenheit.

Den Streit um die Sanierung des Radisson-Hochhauses hat der Denkmalschützer Hesse jetzt zum Anlass genommen, darauf hinzuweisen, dass es auch aus den 60er und 70er Jahren eine Reihe erhaltenswerter Bauten gibt. „Es braucht einen gewissen zeitlichen Abstand, um das bauliche Erbe einer Epoche richtig einschätzen zu können“, sagt er.

Zu den Gebäuden aus dieser Periode gehörten die ehemalige Endo-Klinik am Nobistor und das Pilsglas-Hochhaus auf dem Gelände der ehemaligen Bavaria-Brauerei auf St. Pauli. Sie wurden abgerissen. Auch die Mundsburg-Türme, das Geomatikum der Universität, die Landeszentralbank am Rödingsmarkt und die Hochhaussiedlung Steilshoop sind Zeugnisse dieser Zeit.

Beim Radisson-Hochhaus hatte die Eigentümerin Azure Propert den Charakter der Fassade verändern wollen. Die bräunlichen Platten sollten durch hellen Granit ersetzt werden, die dunkel getönten Scheiben durch transparentes Glas. Der 70er-Jahre-Bau hätte plötzlich eine 50er-Jahre-Leichtigkeit gehabt.

Mit Blick auf die Unterschutzstellung soll die Fassade jetzt zwar neu konstruiert werden, aber ihre bisherige Anmutung behalten. Der Naturstein „Nagelfluh“, aus dem die Fassade heute besteht, habe sich für eine solch exponierte Lage als ungeeignet erwiesen, sagt Hesse. Er werde durch dunklen Granit ersetzt.

Das Radisson-Hotel ist Teil einer Sanierungswelle, die den gesamten Gebäudebestand aus den 60er und 70er Jahren betrifft. Die Fassaden sind verwittert, die Haustechnik veraltet, Dämmung und Lüftung sind weit von heutigen Baustandards entfernt. Damit geraten diese Häuser in den Blick der Denkmalschützer. „Die Gefahr ist groß, dass sie abgerissen oder grundlegend verändert werden, bevor die Gesellschaft Zeit hatte, dieser Architektursprache lesen und schätzen zu lernen“, sagt Hesse. Im übrigen sei nicht Schönheit für den Denkmalwert entscheidend, sondern der historische Gehalt.

„Die Architektur eines jeden Jahrgangs hat ihre Daseinsberechtigung, weil sie in ihrer Zeit Ausdruck der gesellschaftlichen Verhältnisse war“, sagt Volker Roscher, Geschäftsführer des Bundes Deutscher Architekten (BDA) Hamburg. Sie nicht ernst zu nehmen, heiße, die eigene Zeit zu überschätzen.