Sterbekultur: "Das Sterben nicht wegsperren"

Sieben Pflegeeinrichtungen des Paritätischen wollen den Hospizgedanken bei sich verwirklichen. Ein Gespräch mit Heidi Selmons von der Beratungsstelle Charon.

Die Herausforderung: eine neue Aufmerksamkeit für den Tod und den Verstorbenen. Bild: dpa

taz: Viele fordern derzeit den Ausbau der ambulanten Palliativpflege - wie kommt es gerade jetzt zu einem Palliativ-Projekt in den Pflegeheimen?

Heidi Selmons: Das Projekt hat schon vor drei Jahren begonnen, in dieser Woche wurden sieben Einrichtungen aus dem Paritätischen für den Abschluss geehrt. Grundsätzlich sollten diese beiden Möglichkeiten, in eine pflegende Einrichtung zu gehen oder in der Häuslichkeit zu verbleiben, gar nicht in Konkurrenz zueinander stehen. Wir wollen beides ermöglichen.

Wie kam es, dass sich die Pflegeheime mit dem lange verdrängten Sterben beschäftigen?

Mitarbeiterin der Beratungsstelle Charon, die beim Umgang mit Sterben, Tod und Trauer hilft.

Ein Grund ist sicher, dass das Durchschnitteintrittsalter in die Pflegeeinrichtungen heute bei 86 Jahren liegt. Zudem kommen Patienten aus dem Krankenhaus oft ziemlich pflegebedürftig ins Pflegeheim, weil die Verweildauer denkbar kurz ist. Da verändert sich auch eine Struktur: Alle, die dort arbeiten, wollen ja eigentlich das Leben der Bewohner noch schön machen. Nun kommt für diesen Berufsstand etwas Neues hinein.

Und wie wird er darauf vorbereitet?

Das Projekt zielt vor allem auf eine veränderte Haltung zum Sterben, das ist die Herausforderung. Jede Einrichtung schafft sich eine Steuerungsgruppe, die versucht herauszufinden: Wie wollen wir mit dem Thema Tod umgehen? Das Bemerkenswerte ist: Da findet sich ein interdisziplinärer Tisch aus Heim- und Pflegeleitung, aber eben auch Arzt, Heimbeirat, Angehörigen, Seelsorge sowie Personal aus Büro und Hauswirtschaft.

Was macht die neue Haltung aus?

Wir wollen das Sterben nicht mehr wegsperren. Das alte Bild ist: Der Einzug beginnt mit einem Blumenstrauß von der Heimleitung und großer Aufmerksamkeit, der Auszug geht im Sarg durch die Waschküche. Durch das Projekt soll dem Tod und den Verstorbenen Beachtung zuteil werden. Alle Bewohner wissen dann: Wenn ich sterbe, wird eine Kerze angezündet, vielleicht ein Foto von mir aufgestellt, es gibt eine Abschiedsfeier auf der Station und es wird ein Erinnerungsbuch angelegt.

Das erfordert Zeit - und die ist in der Pflege Mangelware.

Wir sind da längst noch nicht dort, wo wir hinwollen, vielleicht kommen wir dort auch nie an. Aber: Es gibt die Zusatzqualifikation für ein, zwei Mitarbeiter aus dem Pflegebereich, die dieses erlernte Wissen intern weitergeben sollen. Und es soll mehr interne, niedrigschwellige Weiterbildung geben.

Reagieren alle Betroffenen positiv auf diesen Neuansatz?

Es gibt Kräfte im professionellen Bereich, die das als ein Zuviel empfinden. Es ist eine Aufgabe, diese Widerstände zu sehen und auch zu akzeptieren. Aber wenn wir das hinkriegen, erhält durch dieses Projekt der Berufsstand der Altenpfleger eine überfällige Aufwertung.

Noch einmal: Es sieht nicht so aus, als würden die Krankenkassen ihr Zeitbudget für die Pflege erhöhen.

Dieses Projekt ist - wie die Hospizarbeit - nicht denkbar ohne ehrenamtliche Helfer. Die werden zusätzlich geschult - das Geld dafür war in den 5.000 Euro enthalten, die die Sozialbehörde pro teilnehmender Einrichtung dazugegeben hat. Sterbebegleitung beginnt ja nicht in den zwei Tagen vor dem Tod.

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