Lebenselixier: der eigene Klang

LATIN-SOUL Einst hat Raul Midón als Backgroundsänger für Shakira und Co. gewirkt. Heute arbeitet er nur noch für sich – und verzückt damit zugleich Kritiker und Publikum

Midón konnte den seichten Pop-Sound von Shakira nicht mehr hören

VON KNUT HENKEL

Als Raul Midón eines Tages mit seiner Gitarre im Büro von Produzentenlegende Arif Mardin stand und seine ersten beiden Stücke gespielt hatte, verließ der alte Mann sofort den Raum. Wenig später aber kam Mardin mit der gesamten Manhattan Records-Belegschaft zurück. Mit den Worten „Play it again“ forderte er Midón auf, erneut in die Stahlsaiten zu greifen.

Schlecht war der erste Eindruck also nicht, den der US-amerikanische Gitarrist beim legendären Produzenten, der Diana Ross, Aretha Franklin und die „Bee Gees“ rausbrachte, hinterließ. Das war 2002, nachdem Raul Midón von Miami nach New York übergesiedelt war, um das zu machen, wovon er immer geträumt hatte – seine eigene Musik zu schreiben und aufzunehmen, statt für andere als Studiomusiker zu arbeiten.

Davon hatte der heute 43-jährige Sänger die Nase voll. Er konnte den seichten Pop-Sound von von Shakira, Julio Iglesias oder Alejandro Sanz nicht mehr hören, sah in Miami keine Perspektive und entschloss sich zum großen Sprung nach New York. Für den blinden Sohn eines argentinischen Tänzers und einer Afroamerikanerin ein mutiger Schritt und es war Arif Mardin, der ihm die Chance und den nötigen Freiraum gab. Das weiß Midón zu schätzen, denn bei Manhattan muss er nur das machen, wovon er immer geträumt hat – gute Musik.

Das fällt dem Mann, der von den Kritikern so gern mit Stevie Wonder verglichen wird, alles andere als schwer. Qualität ist für Midón, der Bill Withers, Donny Hathaway genauso wie Paul Simon und Prince verehrt, Pflicht. Jede freie Minute nutzt Midón, um besser zu werden, greift selbst zwischen den Interviews zur Gitarre, singt leise vor sich hin oder kopiert den Sound einer Trompete. Dieser unbändige Ehrgeiz, dieses permanente Feilen an der eigenen Performance zahlt sich nicht nur im Studio sondern auch live aus. Da entfaltet der Mann mit der obligatorischen Sonnenbrille eine Bühnenpräsenz, die ihresgleichen sucht.

Unterstützung anderer Musiker braucht Midón, der den Resonanzkörper seiner Gitarre nutzt, um den Sound einer Trommel zu imitieren, nicht unbedingt. Der Mann ist sein eigenes Orchester und täuschend echte Trompetensoli perlen ihm genauso locker von den Lippen wie funkige Rhythmen aus der Gitarre.

■ Mi, 11.11., 20 Uhr, Stage Club, Stresemannstraße 163