Ende der Rucksack-Pädagogik

INKLUSION Schulsenator Rabe will alle Schulen mit Sonderpädagogen versorgen. Das erspart umstrittene Gutachten, aber nicht den Streit um Ressourcen

Eine grundlegende Änderung bei der Integration behinderter Schüler hat SPD-Schulsenator Ties Rabe angekündigt. Für alle Kinder, die Förderbedarf im Bereich „Lernen, Sprache, soziale oder emotionale Entwicklung“ (LSE) haben, soll es ab 2012 keine Einzelgutachten mehr geben. Stattdessen bekommen alle Schulen eine Grundausstattung an Sonder- und Sozialpädagogen auf Basis der Annahme, dass 4,6 Prozent der Schüler beeinträchtigt sind.

„Die Ressource würde entsprechend der Schülerzahl einer Schule zugeteilt“, erklärte Rabe am Donnerstag. Er orientiert sich an Expertisen, die die Bildungsforscher Klaus Klemm und Ulf Preuss-Lausitz für Bremen und Nordrhein-Westfalen erstellt haben: Ihnen zufolge sind die erwähnten LSE-Gutachten nicht zuverlässig.

In Hamburg haben behinderte Kinder seit 2010 das Recht, eine Regelschule zu besuchen. Die zusätzlichen Sonderpädagogikstunden bringen die Schüler quasi im Rucksack mit. Zuvor wird bislang aber ihre Förderbedürftigkeit getestet. Das sei sehr aufwendig, so Rabe, und habe die Zahl der LSE-Kinder rapide erhöht – von 4,1 auf 6,6 Prozent.

Die Sonderschulen bleiben

Die nun geplante systemische Förderung hat in der Fachwelt schon lange Fürsprecher, wird so doch Stigmatisierung vermieden. Das Prinzip soll aber nicht für Kinder mit körperlicher oder geistiger Behinderung, wie etwa dem Down-Syndrom, gelten: Deren Förderbedarf würde weiter einzeln untersucht. Außerdem bleibt Eltern die Wahl, ihr Kind an eine Sonder- oder Förderschule zu geben.

Rabe will das Konzept im Winter vorstellen und die Reform im Sommer 2012 starten. Zur Begleitung hat er einen „Beirat Inklusion“ ins Leben gerufen, der bei Konflikten vermitteln soll.

Die wird es geben: Streit zeichnet sich um Höhe und Verteilung der Ressource ab. Denn die mit guten Schlüsseln ausgestatteten Integrationsklassen und Integrativen Regelklassen (IR) soll es nicht mehr geben. Klemm und Preuss-Lausitz schlagen für jedes Kind mit geistiger oder körperlicher Behinderung 4,5 bis sechs doppelt besetzte Unterrichtsstunden pro Woche vor. Für die künftig nur fiktiv veranschlagten LSE-Kinder soll es drei geben. Rabe rechnet vor, dass eine Grundschule mit 264 Kindern 36,4 Stunden bekäme. Allerdings soll hier nach sozialer Lage der Schule differenziert werden. Nach welchem Schlüssel, ist noch offen.

Der Schulleiter Pit Katzer hatte im Wahlkampf gefordert, dass alle Klassen in Vierteln mit niedrigem Sozialindex die bewährte IR-Ausstattung von etwa zehn Doppelstunden pro Woche erhalten. Rabe hält das für nicht bezahlbar. Er schloss aber gestern nicht aus, dass die Stadt für diese Reform mehr Geld ausgeben könnte. KAIJA KUTTER