Heikles Thema

NAHOST-KONFLIKT Gilbert Achcar stellt seine umstrittenen Thesen zum „arabisch-israelischen Krieg der Geschichtsschreibungen“ vor

Ein Buch zu einem „heiklen Thema“ habe er verfasst, schreibt Gilbert Achcar im Vorwort zur deutschen Ausgabe von „Die Araber und der Holocaust“. Und dass er gerechnet habe mit „feindseligen Reaktionen von verschiedener Seite“: So hätten die einen Kritiker ihm Feindseligkeit gegenüber dem Zionismus vorgeworfen, die anderen zu große Nähe dazu. Wer sich im Internet umsieht, wird freilich noch sehr viel drastischere Positionen gegenüber Buch und Autor ausmachen können.

Geht es nach dem Professor für Entwicklungspolitik und internationale Beziehungen an der Universität London, dann ist das Verhältnis der arabischen Welt zur planmäßigen Ermordung der europäischen Juden erheblich differenzierter, als es gerne dargestellt werde: So wenig wie aber alle Araber den Nazis applaudiert hätten, so sehr hingen Israel und „der Westen“ bis heute dem vergröbernden Bild an, sie hätten es eben doch getan; oder warteten nur darauf, das seinerzeit von den Deutschen und ihren Helfern betriebene Projekt bei nächster Gelegenheit zu Ende zu bringen.

Höchst problematisch ist in den Augen etlicher Rezensenten Achcars Ansatz, dem Narrativ zur Shoah gewissermaßen gleichrangig das der „Nakba“ gegenüberzustellen; mit dem arabischen Wort für „Katastrophe“ werden in der Region die Gründung Israels und die Kriege 1948 und 1967 bezeichnet. Vom Relativismus indes, den es bedeuten würde, die geplante und quasi-industrielle Vernichtung von sechs Millionen Menschen gleichzusetzen mit dem militärischen Vorgehen Israels seit der Staatsgründung, distanziert Achbar sich mehrfach.

Es liegt nahe, dass er an einer Übersetzung seines Buches ins Deutsche sehr interessiert war: Wer hierzulande über ein solches Thema spricht, der steckt im Nu mitten in einem Konflikt, in dem beiden Seiten der Nahostkonflikt vor allem als Projektionsfläche dient für das Ringen um den Umgang mit der deutschen Geschichte: Beide Seiten – die Palästina-Romantiker wie auch die bedingungslosen Unterstützer noch der reaktionärsten israelischen Falkenpolitik – beanspruchen ja nicht weniger, als dass sie die Lehren aus der mörderischen Vergangenheit gezogen haben.

Diese Gemengelage könnte für einen turbulenten Abend sorgen, wenn Achcar nun in Hamburg liest. Andererseits: Die Chance, dem Mann und seinen Thesen auf den Zahn zu fühlen, sollte wohl wahrnehmen, wer sich für das „heikle Thema“ ernsthaft interessiert. ALDI

■ Mi, 16. 5., 20 Uhr, Werkstatt 3, Nernstweg 32–34