Konsum macht rebellisch

MONA ABAZA, Jahrgang 1959, ist Soziologieprofessorin an der American University in Kairo. Sie wird auf dem tazkongress am Samstag, 18. April einen Vortrag zur Konsumkultur in der arabischen Welt halten.

Mona Abaza, Soziologin an der American University Kairo, erklärt das Geheimnis der guten Ehe zwischen islamischen Werten und dem Geist des Kapitalismus am Beispiel der Stadtentwicklung von Kairo

INTERVIEW GINA BUCHER

taz.mag: Frau Abaza, sie wohnen in Downtown Kairo und lehren auf dem neuen Campus der American University außerhalb des Zentrums, in New Cairo – wie lange dauert Ihr täglicher Arbeitsweg?

Mona Abaza: (lacht) Ach, es ist anstrengend – je nachdem, wie der Verkehr fließt. Ich fahre jeden Tag mit dem Bus der Uni zum Campus. Manchmal dauert das eine Stunde, der Rückweg oft auch eineinhalb Stunden.

Es gibt Pläne zum Wegzug des Ägyptischen Museums, die AUC zog kürzlich aus Downtown weg, während die neuen Universitäten gleich von Anfang an an der Peripherie gebaut werden. Wird das Stadtzentrum von Kairo evakuiert?

Bis zu einem gewissen Grad, ja. Das heißt, das Gute wird evakuiert. Die AUC als öffentliche Uni ist dafür ein Beispiel. Ich war gegen diesen Wegzug. Wir waren im Herzen von Kairo, jetzt sind wir auf einem schönen, sauberen Campus in der Wüste. Die Universitätsleitung störte sich an Armut und Schmutz und war der Ansicht, dass bettelnde Kinder nicht auf einen amerikanischen Campus gehören. Ich bin eher der Meinung, dass es ein Problem ist, dass der gesamte Campus klimatisiert ist – das ist eine Umweltverschmutzung.

Wie sehen Sie diese „Evakuierung“ als Soziologin?

Es befremdet mich, dass dahintersteht, keine Armut sehen zu wollen. Es ist gefährlich, wenn Soziologen und Anthropologen auf einem klinischen Campus lehren und in Gated Communities leben. Gerade wir müssten doch anders denken. Viele meiner Studenten müssten in die Stadt, sollten auch die Slums, die Zabbalin [Müllsammler; Anm. d. R.] sehen. Zwar werden wir dort für unseren Soziologiekurs extra hinfahren, aber es wird komplizierter, ein solcher „Feldausflug“ kostet uns einen ganzen Tag.

Dass die Universitäten und Museen aus Downtown wegziehen, steht für die gesamte Stadtentwicklung?

Diese Entwicklung ist zumindest symptomatisch. Segregation ist ein großes Problem. In fünfzehn Jahren wird laut Prognosen ganz Kairo ungefähr zu fünfundsechzig Prozent aus Slums bestehen. Wobei man diesen Begriff vorsichtig gebrauchen muss. Mit „Slum“ ist im Falle von Kairo informelle Stadtentwicklung gemeint. Im Arabischen nennen wir das aashwaa’i“.

Wobei die Stadt auch von den informellen Strukturen profitiert, denkt man etwa an die Zabbalin, die Müllmänner, die von Recycling leben.

Das stimmt. Die informelle Wirtschaft stützt zu einem beträchtlichen Teil die Wirtschaft. Jedoch zu einem hohen Preis, denn es handelt sich um ungesicherte Arbeit, ohne Sicherheit, ohne Sozialverträge. In Ägypten ist dieses System sehr erfolgreich: Sehen Sie nur die Autoreparaturbranche. Genial, was da passiert. Die Slums haben so gesehen eine Funktion. Diese Entwicklung aber hat zwei Seiten: Einerseits profitieren etwa die Islamisten von den informellen Stadtstrukturen. Andererseits ist der hohe Lebensstandard, den sich mittlerweile viele Ägypter leisten können, nur dank der Slums möglich.

Das heißt, die Islamisten haben leichtes Spiel, Mitstreiter in den Slums zu rekrutieren?

Das ist eine These, die die offizielle Meinung sehr stark unterstützt, um die Slums abzureißen – die brachten zwar Islamisten hervor, die Mittelschicht aber ebenso. Diese These ist so nicht stichhaltig.

Urbanisten wie Mike Davis, Autor des Buchs „Planet der Slums“, beschreibt die Unordnung von Megastädten denn auch bis zu einem gewissen Grad als Vorteil.

Die Neureichen sträuben sich gegen die Unordnung in der Stadt. Sie wollen die schmutzige, unkontrollierbare Masse säubern und evakuieren. Nur funktioniert das nicht immer. Viele Megastädte kennen das: Weil man die Stadt nicht mehr kontrollieren kann, ziehen die Reichen in moderne Satellitenstädte, in Gated Communities und überordentliche Eigentumssiedlungen nach amerikanischem Vorbild. Besuchen Sie einmal Quattamiya Heights [Gated Community im Südosten der Stadt; Anm. d. Red.]. Das ist nicht Kairo, das ist Texas! Solche Siedlungen könnten irgendwo sein.

Wobei Kairo schon immer aus Satellitenstädten bestand.

Die Idee der Satellitenstädte gibt es bereits seit dem Kolonialismus. Heliopolis war eines der ersten Beispiele. Auch Maadi, heute ein Bezirk inmitten der Stadt, wurde ursprünglich als Satellitenstadt gebaut. Und so entwickelte sich das urbane Kairo: Die Eliten lebten an einem bestimmten Ort und zogen weg. Das konnten die Stadtplaner noch nie berücksichtigen.

Sind die Ideen der islamischen und der modernen Stadt überhaupt miteinander vereinbar?

Die Spaltung zwischen islamischer und moderner Stadt gab es schon immer. Die islamische Stadt ist nicht modernisierbar. Also musste man die großzügigen Boulevards im Stil des französischen Stadtplaners Haussmann außerhalb bauen. Die Elite lebte zuerst in Azbakiya, Aslain, dann Zamalek. Oder auch in al-Hilmiya.

Eine Gentrifizierung wie in Europa gab es nie?

Nein, das passierte in Kairo nicht. All die ehemals „schönen“ Quartiere werden zurückgelassen und zerfallen. Shubra, al-Hilmiya, bald auch Zamalek zum Beispiel. Diese Entwicklung ist schwer zu kontrollieren. Und es stellt sich die Frage, ob die Regierung überhaupt ein Interesse daran hat, diese Stadtteile zu renovieren.

Was tut die Regierung dagegen?

Sie bauen Städte ohne Infrastruktur, während Menschen sterben. Zu den Reichen in New Cairo führt keine Metro. Ein hoher Beamte meinte unlängst: „Warum sollen wir eine Metro bauen? Dann kommen die Armen ja zu uns.“

Wer kann es sich leisten, dort zu wohnen?

Die Preise sind sehr unterschiedlich. Ab 100.000 ägyptischen Pfund [ca. 15.000 Euro; Anm. d. Red.] bis zu mehreren Millionen für eine Wohnung ist alles möglich. In Scheich-Zayed etwa gibt es Villen für bereits fünf Millionen Pfund [entsprechen ungefähr 700.000 Euro; Anm. d. Red.]. Selbst heute, während der Krise. Oft ist im Preis Private Security enthalten – das ist überhaupt eine neue Idee in diesen Städten: dass man Nebenkosten bezahlt.

Ein Indiz für das Entstehen eines ägyptischen Mittelstands?

Es ist schwierig, von einem regelrechten Mittelstand zu sprechen. Es sind Leute, die seit den Neunzigerjahren am Golf Geld verdienten. Aber zum Beispiel die Idee, von der Bank Kredite oder Hypotheken zu bekommen, die ist neu. Früher hätte ein Ägypter nie einen Kredit aufgenommen.

Weil ihm kein Kredit gegeben wurde oder weil er keinen wollte?

Weil man keinen Kredit aufnahm. Man vertraute keiner Bank. Die Vorstellung, dass man ein ganzes Leben lang einen Kredit abbezahlt, ist europäisch und amerikanisch. Man wurde erzogen, sein Geld unter das Bett zu legen. Die Möglichkeit eines Kredits ist kapitalistischer Spirit und neu. Dieses Phänomen wurde erst in den letzten fünf, sechs Jahre modern. Jetzt wird man sehen, wie es mit der Rezession weitergeht.

Welche Rolle spielt die Regierung in den Satellitenstädten? Wer finanziert die Strom- und Wasserversorgung?

Zum einen die Regierung, aber ein großer Teil außerhalb der Stadt wurde privatisiert. Die Regierung verkauft Land in der Wüste billig an Private.

Die Privatisierung führt dazu, dass die neuen Städte kaum an den öffentlichen Verkehr angebunden sind.

Das ist ein Problem: Diese Städte funktionieren nach dem amerikanischen Modell. Es ist alles privat, und das Auto ist das einzige Fortbewegungsmittel.

Wie steht es in einem Moloch wie Kairo mit dem Umweltbewusstsein?

Es gibt ein Umweltbewusstsein. Aber obwohl täglich ein Zeitungsartikel über die Skandale der Umweltverschmutzung erscheint, bleibt die Frage: Was kann man dagegen tun?

Gibt es denn Ideen für eine Verbesserung der Zustände?

Analphabetisierung bedeutet nicht, dass sich die Leute der Probleme nicht bewusst sind. In den letzten drei Jahren gab es große Bauernaufstände, Demonstrationen gegen die Chemieindustrie und gegen das Agrarministerium.

Gibt es Öko-Vorbilder?

Da passiert einiges im Internet. Die Blogger sind jung, die meisten Mitte zwanzig. Auch hier werden Idole der Antiglobalisierungsbewegung wie Naomi Klein verehrt.

Hat sich die Politisierung junger Leute durch die neuen Medien verändert?

Sehr, denn es gibt eine neue Kultur, jene der Mobilphones, SMS und – und natürlich Facebook. Interessant ist auch Teet, ein ironisches Blog-Radio. Sie präsentieren eine Art Kitsch-Remake von TV- und Radio-Nachrichten. Die Macher verzerren etwa die Reden Bin Ladens und machen sich über die Islamisten lustig – in sehr ernster Form sind die Botschaften zugleich äußerst amüsant. Die Politik- und Sozialwissenschaftler blicken immer zuerst auf den Islam. Die verstärkte Islamisierung der Gesellschaft durch die Muslimbrüder ist aber nur eine Perspektive. Wenn ihnen etwa auffällt, dass heute mehr Frauen Kopftuch tragen als vorher, dann ist das noch kein Ja und auch kein Nein. Das ist zwar ein Merkmal, aber ich als Soziologin weiß, dass das nur eine Perspektive ist.

Wie reagiert die Zensur auf Teet-Radio?

Das ist genau der Clou an Teet-Radio: Alle Texte sind bereits zensiert. Sexuelle und politische Witze sind verklausuliert, deshalb gibt es jedes Mal fünf bis sechs Teets.

Wie hat sich die Sprache der Politisierung durch die Blogger-Generation verändert?

Die neue Generation ist nicht im Sinne einer Parteizugehörigkeit politisch. Aber ihre Sprache würde ich durchaus als politisch bezeichnen. Es ist eine neue Sprache, nihilistisch, sehr postmodern – das würde auch euch in Europa gefallen! Diese Vernetzung zeugt von einer neuen Kultur. Von den Unruhen vom 6. April 2008 etwa, gibt es im Netz viele Bilder: von den Prügeleien auf der Straße, über die Gefängnisse, von Mubarak und seinem Sohn. Die Ikonen sind interessanterweise jenen der europäischen Achtundsechziger sehr ähnlich: Ein Remake einer Kultur, die man aus Europa kennt. Und Facebook hat heute die Macht, zehntausende von Leuten zu mobilisieren.

Wie beschreibt diese „neue Generation“ den Alltag?

Romane wie etwa „I want to get married“ von Ghadah Abdel Aal sind für mich Zeichen einer neuen Kultur. Die junge Frau erzählt die Geschichte einer siebenundzwanzigjährigen unverheirateten Frau, die keine Chance hat, einen Mann zu finden. Obwohl die Familie ernsthaft versucht, für sie einen Mann zu finden, verliebt sie sich nicht. Ganze vierundzwanzig Kapitel lang heiratet sie nicht. Eine wahre Geschichte, witzig und vor allem stolz erzählt von einer Frau, die zur Schande ihrer Familie wurde. Ein zweites Beispiel ist „Rice Pudding for Two“, ein Blog, in dem Rihab Bassam das Kleinbürgertum kritisiert. Sehr detailliert beschreibt sie die Banalität des Alltags. Sie gehört zu einer neuen Generation, die das Alltagsleben als entfremdet erlebt. Die jungen Leute wissen ganz einfach nicht, wie man Freizeit verbringt.

Über fünfundsechzig Prozent der ägyptischen Bevölkerung sind unter dreißig. Wo verbringt die Jugend in Kairo ihre Freizeit?

Das ist ein Problem: Was tut man mit den jungen Leuten? Es gibt zu wenig öffentlichen Raum, und die Regierung verschärft dieses Problem, in dem sie Gated Communities konstruiert und zu viel privatisieren lässt. So hat jeder sein eigenes Schwimmbad, während es in der Öffentlichkeit kaum mehr Gärten gibt. Als Treffpunkt bleibt nur der Coffeeshop in der Mall. Das ist für die jungen Leute nicht billig. Aber man ist bereit, 7,50 ägyptische Pfund (knapp einen Euro) für einen Cappuccino zu bezahlen. Den kann man sich allerdings nicht jeden Tag leisten.

Sich einen Cappuccino bei Cilantro zu leisten ist noch keine Befreiung.

Die Einwohnerzahl Kairos hat sich seit 1960 verdoppelt, heute leben in einer der größten Metropolregionen Afrikas 15 bis 22 Millionen Menschen. Das Stadtzentrum ist durch den Einfluss französischer Architekten des 19. Jahrhunderts europäisch geprägt: Es gibt großzügige Boulevards und Belle-Epoque-Gebäude. Die islamische Altstadt mit engen Gassen ist seit 1979 Unesco-Weltkulturerbe. Aashwaa’i: informelle Siedlungen, ohne Plan und Baugenehmigung entstanden. Trotz mangelhafter Infrastruktur leben hier sehr viele Menschen auf engstem Raum. Eine Besonderheit Kairos ist das Müllsystem. Zabbalin: Rund 60.000 Müllmänner, mehrheitlich koptische Christen, sammeln, recyceln und verkaufen tonnenweise den täglichen Abfall der Stadt unter teils problematischen hygienischen Bedingungen. Seit der Einführung eines zentralen Abfuhrsystems 2003 hat sich ihre Lebensgrundlage verschlechtert. Die ägyptische Regierung baut seit den Siebzigern in der Wüste Satellitenstädte: Hier entstehen Wohnsiedlungen, etwa in 6th of October (seit 1979, geplant für 3,7 Millionen Einwohner), al-Scheich-Zayed (seit 1995, geplant für eine halbe Million) oder New Cairo (seit 2001, geplant für 2 bis 5 Millionen) – oft mit schlechter Anbindung an den öffentlichen Verkehr. Cilantro: ägyptische Version von Starbucks, sehr beliebt.

Nein. Aber es ist interessant, dass es für die jungen Leute von heute überhaupt Angebote gibt. Und da sind immer noch die Kaffeehäuser in Downtown, in denen sehr viele junge Menschen, auch viele Frauen, Kaffee trinken und Shishas rauchen. Ich sehe darin eine Wiedereroberung des öffentlichen Raums.

Was bleibt denn in einer Megastadt wie Kairo als öffentlicher Raum?

Es gibt fast keinen mehr. Wir haben keine Parks, die Umwelt ist zerstört, man kann nicht in den Straßen laufen. Für Frauen kommt außerdem das Problem der sexuellen Belästigung dazu. Der Al-Aschar-Park [ein Park im Stadtzentrum, finanziert durch eine private Stiftung; Anm. d. R.] ist ein Ausnahmebeispiel. Dort funktioniert es, die Leute verabreden sich dort. Das ist für mich ein Indiz, dass man den jungen Leuten einen Platz geben muss – ein Stück Natur. Die Regierung dagegen ist der Meinung, dass die Ägypter per se schmutzig sind, dass sie alles wegwerfen. Deshalb bezahlt man auch für den Al-Aschar-Park Eintritt.

Also können sich nicht alle einen Ausflug in den Park leisten.

Das ist genau der Punkt: Ich sage nicht, dass Konsum eine Lösung ist. Denn wir haben eine Klassengesellschaft, und kaufen kann nur, wer Geld hat.

Sie haben viel über Konsum in Südostasien und im Nahen Osten geforscht. Welche Fragen stellen sich in Megastädten wie Singapur, Kairo oder Jakarta?

Während die europäischen Denker eher die negativen Aspekte des Konsums hervorhoben, beginnen Soziologen hier, anders zu denken. Sie fragen sich, ob vielleicht Konsumkultur auch im Sinne von Widerstandskultur zu lesen ist.

Und, ist das möglich?

Das ist eine These. Man muss bedenken, dass in Ägypten genauso wie in Singapur ein autoritäres System herrscht. Außerdem gibt es unterschiedliche Generationen. Die ältere Generation ist eher sparsam und lebt nach einer – sozusagen – protestantischen Ethik. Heute aber könnte Konsum als Widerstand gewertet werden. Könnte. Ich glaube, man muss solche Fragestellungen in Südostasien und im Nahen Osten im Zusammenhang mit den anderen Problemen betrachten. Trotz Ähnlichkeiten gibt es große Unterschiede. Die Stadt Singapur etwa ist ein Mikrokosmos auf einer Insel mit ungefähr 3,5 Millionen Einwohnern, auf einer Fläche von rund 100 Quadratkilometern. Kairo dagegen ist eine Stadt von Slums.

Mitten in der Wüste, vor dem Eingang zur Siedlung al-Scheich-Zayed steht eine anonyme Shopping-Mall, wie sie überall auf der Welt sein könnte. Was bedeutet diese Entwicklung für die islamischen Werte?

Was wir heute erleben, ist eine gute Ehe zwischen islamischen Werten und Kapitalismus. Das hat mit der Transformierung zu tun. Die eine Geschichte ist jene der Islamisten, die sich gegen Säkularisten in Ägypten aussprechen und in den letzten Jahren sehr erfolgreich waren. Die andere aber ist, dass Millionen von Ägyptern nach Saudi-Arabien und in die Golfstaaten arbeiten gingen und die letzten dreißig Jahre dort lebten. Jene Ägypter, die jahrelang dort arbeiteten und zurückkehrten, übernahmen diesen Lebensstil: zwar konservativ, aber mit viel Geld. Das ist neu. Seither hat sich die Wahrnehmung, dass Muslime automatisch arm, Islamisten und ergo Terroristen sind, geändert. Jetzt gibt es eine breite Mittelklasse, und das Ergebnis ist ein Lifestyle, der konservativen Islam und Konsum miteinander zu verbinden weiß.

Eine für Sie harmonische Verbindung?

Erstaunlicherweise fordern die StudentInnen zum Teil einen Konservatismus ein, den ich beängstigend finde. Einige Studenten sind konservativer als Dozierende – und schätzen bestimmte Filme oder Bücher als „zu belastend“ für die Studenten ein.

Ist das nicht paradox, wenn man gleichzeitig in Shopping-Malls alles kaufen kann und sich in Gated Communities bewegt?

Es ist Ausdruck eines prosaudisch-konservativen Lebensstils: der Rückzug ins Private. Man will von der Welt verschont bleiben und im Häuschen mit Pool leben. Sodass ich mich nicht daran stören muss, dass meine Nachbarin ohne Verschleierung schwimmt.

Kann man den Konservatismus als Antwort auf die Schikanen der Post-9/11-Politik sehen?

Bushs Antiterrorpolitik kann nicht als Sündenbock für alles herhalten. Bis zu einem gewissen Grad: ja. Aber wir erleben hier eine Gehirnwäsche – jetzt sehen wir das Erbe eines Präsidenten, der seit fast drei Jahrzehnten an der Macht ist. Erschreckend, wenn mich die Mutter einer Studentin anruft und klagt, dass ihre Tochter sich als Einzige in der Familie verschleiert.

GINA BUCHER, Jahrgang 1978, lebt als freischaffende Autorin in Berlin