Versuch, den Horizont zu beschreiben, Nr. 6

„Hinterm Horizont geht’s weiter.“ Zugegeben, das ist ein abgedroschener Anfang für einen Text über den Horizont. Aber hey, es wäre auch schade, wenn Lindenbergs Gassenhauer nicht stimmte. Schließlich erstreckt sich der Horizont beim Blick aus meinem Fenster lediglich über den Dachfirst der Häuser auf der anderen Seite der Straße. Die nehmen die untere Hälfte ein, die obere ziert ein mit Fernsehantennen und Satellitenschüsseln ausgefranster, wolkenloser Himmel.

Die Antennen fangen Horizonte ein, die ich nicht sehen will. Fernseher brauche ich keinen. Dafür Urlaub. Und für den zieht es mich immer ans Meer. Einen schier endlosen Horizont genießen – „wo blau und blau sich treffen“. Aber Romantik ist nicht. Was der Sänger von Joint Venture wirklich meint: „Man kann fahrn, soweit man kann, wo blau und blau sich treffen, kommt man trotzdem niemals an.“

Also halte ich mich an den, der sich nichts daraus macht, dass er trotz Rückenwind nicht dort ankommt, wo sich Boden und Himmel berühren und stattdessen erkennt, dass die eigene Straße doch Horizont hat.

Und jetzt sitz ich also hier bei Kaffee und ’ner Zigarette. Die Sonne geht auf. Der vorher von Lindenberg versprochene „neue Tag“ lugt über den Horizont. Ich genieße die Sonnenstrahlen, drehe die Anlage runter und lausche der Straße. Der Dachfirst schimmert in der Morgensonne. Der letzte Satz ist geschrieben, ich lehne mich zurück. Horizont hin oder her: Heute mache ich blau. DOMINIK RÖTTGERS