Sinsheim ist nicht Amsterdam

In der badischen Gemeinde rätseln die Menschen, wer die Moschee angezündet hat. An den Beginn einer Anschlagserie wie in den Niederlanden will niemand glauben

BERLIN taz ■ Der gestrige Tag war der Tag der Mutmaßungen. Vorgestern brannte im baden-württembergischen Sinsheim eine Moscheetür, nun diskutieren Muslime, Christen und Politiker: War das ein bedauerlicher Einzelfall – oder der Auftakt zu einer Anschlagsserie, wie sie derzeit die Niederlande erschüttert?

„Ich glaube, das waren besoffene Idioten“, sagte Sinsheims Oberbürgermeister Rolf Geinert (SPD) der taz. „Amsterdamer Verhältnisse in der süddeutschen Provinz, das passt nicht in unsere Tradition des Miteinanders.“

In der Nacht zum Donnerstag hatten Unbekannte einen Molotowcocktail gegen die Fatih-Moschee geschleudert. Die Eingangstür geriet in Flammen. Dann aber entdeckte die Frau des Imams das Feuer und löschte es. Jetzt ermitteln 25 Beamte der Heidelberger Kripo – bislang ergebnislos. Gestern Nachmittag war noch nicht bekannt, ob einer oder mehrere Täter den Molotowcocktail schleuderten, ob sie aus eigenem Antrieb oder als Teil einer Organisation handelten. Die Polizei warnte vor verfrühter Hysterie. Einen politischen Hintergrund konnte sie nicht bestätigen, aber auch nicht ausschließen.

Geinert sähe seine Stadt gern durch die Erkenntnis entlastet, dass der Anschlag eine Einzeltat war. „Es gab hier doch noch nie Probleme zwischen Christen und Moslems.“ Gerade die türkische Moschee „Gemeinschaft des Islam Sinsheim“ ist unter Einheimischen keineswegs als Hort des Fundamentalismus bekannt. Vielmehr gilt sie als gemäßigt – anders als die vom Verfassungsschutz beobachtete Vereinigung Milli Görus, die ebenfalls in Sinsheim vertreten ist. Die Mitglieder der Fatih-Moschee hingegen „zeigen sich sehr offen“, so Geinert.

Ein Eindruck, den auch Ulrich Fischer, evangelischer Bischof von Baden, bestätigt: Jüngst erst luden sie Christen ein, mit ihnen das Ende des Ramadan zu feiern. „Der Anschlag löst Ängste aus. Wir sollten aber vorsichtig sein mit Schuldzuweisungen“, so Fischer. Er hofft, dass „weiterhin ein friedliches Zusammenleben der Religionen möglich ist“.

Der Anschlag in Sinsheim ist nicht der erste, der diesen Frieden gefährdet. Seit 1981 gab es in Deutschland 61 Übergriffe auf Moscheen, hat das Zentralinstitut Islam-Archiv in Soest errechnet.

Noch ist völlig unklar, ob Rechtsextreme für den jüngsten Anschlag verantwortlich sein könnten. Gestern überprüfte die Polizei 25 junge Männer der rechten Szene. Ein konkreter Verdacht, wer den Brandsatz auf das Gebetshaus warf, habe sich daraus jedoch nicht ergeben.

Noch jedenfalls sieht Mehmet Tuncan, Vorstand der Islamischen Gemeinde in Sinsheim, keinen Grund zur Panik. „Ich lebe seit 35 Jahren hier. Auch jetzt habe ich keine Angst.“

COSIMA SCHMITT