Bei der Demo zählt nicht nur das Anliegen

Wie viele Menschen waren auf der Demonstration? Zwischen Polizei- und Veranstalterzahlen liegen oft Welten

BERLIN taz ■ „Wir sind viele, wir sind laut“ – auf Demonstrationen ist das ein gern gebrüllter Schlachtruf. Aber kaum sind die Protestierer wieder zu Hause, streiten Polizei, Veranstalter und Journalisten, wie viele es tatsächlich waren. Die Demonstration gegen die staatliche Datensammelwut am Samstag war dafür ein gutes Beispiel. Waren es nun 100.000 Teilnehmer, also so viele, wie die Landeshauptstadt Schwerin Einwohner hat? Oder doch nur moderate 15.000, vergleichbar der Stadt Hude im Landkreis Oldenburg?

Die Berliner Polizei bleibt bei ihrer Darstellung von 15.000 Teilnehmern. Sie habe ein standardisiertes Zählverfahren entwickelt, sagt Sprecherin Heike Nagora. Eigens abgestellte Zählpolizisten positionieren sich an Anfang und Ende der Route. Je nach Streckenführung kommen dann drei Zählmethoden zur Anwendung: Bei der „Blockzählung“ teilen die Beamten die Menschenmenge in Blöcke ein, zählen einen Block und rechnen hoch. Ähnlich funktioniert die „Streckenzählung“ – für die eine „gleichbleibend breite Straße“ nötig ist. Hier zählen die Beamten die Demonstranten in einem bestimmten Abschnitt des Zuges und rechnen dann hoch.

Ein Sonderfall ist die Straße des 17. Juni vor dem Brandenburger Tor, wo auch die Demo gegen Datensammelwut endete. Weil hier oft Kundgebungen stattfinden, besitzt die Polizei ein „Rasterverzeichnis, nach welchem die Teilnehmeranzahl berechnet werden kann“.

Die Veranstalter der Daten-Demonstration sprechen von 70.000 Teilnehmern, nachdem sie am Samstag noch von 100.000 ausgingen. „Diese Einschätzung war ein Schnellschuss, dafür muss ich mich entschuldigen“, sagt Ricardo Christof Remmert-Fontes. Er hatte den Zug über Berlins Prachtmeile zum Brandenburger Tor angemeldet. 15.000, diese Zahl der Polizei, hält er für deutlich zu niedrig. Der Einsatzleiter habe ihm gesagt, er gehe von 50.000 Teilnehmern aus. Das verneint die Polizei.

Die 70.000 Teilnehmer der Abschlusskundgebung wollen die Organisatoren methodisch ermittelt haben: Die Protestierer hätten vor der Bühne auf einer Fläche von 17.000 Quadratmetern gestanden, sagt Remmert-Fontes. Die Organisatoren nahmen an, dass pro Quadratmeter vier Menschen stehen – also so dicht gedrängt, als stünden die Beatles auf einer Fläche, halb so groß wie ein Schreibtisch. Ergebnis: 68.000 Teilnehmer.

Demo-Veranstalter halten die Polizeizahlen oft für zu niedrig gegriffen. „Üblicherweise nimmt man bei Demonstrationen die von der Polizei genannte Zahl und multipliziert diese mal zwei“, schreibt einer der Organisatoren in einem Blog. So sei auch die falsche Zahl von 100.000 in die Welt gekommen, so Remmert-Fontes.

In der Hauptstadt der Massenaufmärsche kommt es oft zum Zahlenzoff. Zur Fußball-EM feierten sich die Organisatoren der Fanmeile für 500.000 Fans beim Spiel Deutschland gegen Türkei. Die Berliner Zeitung rechnete nach – und stellte fest, dass sich in diesem Fall 20 Fans pro Quadratmeter gedrängelt hätten.

HENDRIK HEINZE